Rechtsruck bei Jugendlichen: Wir verlieren gerade den Kampf um die Köpfe unserer Kinder
Die AfD-Jugend feiert die Brandenburg-Wahl mit einem ausländerfeindlichen Abschiebe-Song. Die Empörung bleibt aus. Die Jugend wird offenbar rechter – wie konnte es so weit kommen?

Die AfD-Jugend feiert die Brandenburg-Wahl mit einem ausländerfeindlichen Abschiebe-Song. Die Empörung bleibt aus. Die Jugend wird offenbar rechter – wie konnte es so weit kommen?

„Hey, das geht ab. Wir schieben sie alle ab“, schallte es auf der Wahlparty der AfD nach der Brandenburg-Wahl aus den Boxen. Auf Videos sah man Mitglieder der Jugendorganisation „Junge Alternative“ dazu grölen und tanzen. Ausländerfeindlichkeit als Party-Hit – und das öffentliche Erstaunen, die Empörung blieben großteils aus. Rechte machen eben rechte Sachen – wen wundert’s? Doch ist es nicht erstaunlich, dass nur wenige Monate nach dem Sylt-Video, auf dem praktisch das Gleiche zu sehen war, diesmal nicht tagelang darüber diskutiert wird, dass rechtsextremes Gedankengut vor allem bei jungen Leuten wieder voll im Trend liegt? 

In Brandenburg setzten mehr als 30 Prozent der Wähler zwischen 16 und 24 Jahren ihr Kreuz bei der AfD. Und das, obwohl der Landesverband mit seinem Spitzenkandidaten Hans-Christoph Berndt wohl einer der Radikalsten in Deutschland ist. Warum schrecken menschenfeindliche Parolen die Jugend nicht mehr ab? Warum springt sie darauf an, wenn praktisch alle Probleme damit erklärt werden, dass angeblich zu viele Ausländer in Deutschland seien? 

Warum ist Rechtsextremismus plötzlich für viele vollkommen okay? 

In kaum einer Talkshow zu diesem Thema wird nicht die Floskel der „Diskursverschiebung nach rechts“ mahnend in den Raum geworfen. Der sei schon wirklich gefährlich, dieser Rechtsruck, und man müsse wirklich aufpassen, dass die Diskussionen nicht zu sehr verrutschten, sind sich dann die meisten Experten schnell einig.

Die Wahrheit ist: Wir stecken schon mittendrin im Rechtsruck. Hätte ein SPD(!)-Kanzler sich vor wenigen Jahren auf dem „Spiegel“-Cover mit dem Satz „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ zitieren lassen, er hätte wohl zurücktreten müssen. Ob die „kleinen Paschas“ von Friedrich Merz oder die „alimentierten Messermänner“ von Alice Weidel – was man heute wieder sagen kann, ohne Angst vor Konsequenzen zu haben, ist ebenso bemerkenswert wie schockierend. Und bei Tiktok tanzt die Jugend zu Abschiebe-Songs. STERN PAID 24_24 Neue Reiche Rechte 1225

Was ist passiert, dass es so weit gekommen ist? Leider muss man feststellen: Viele sind denen ins Netz gegangenen, die seit Jahrzehnten daran arbeiten, die Demokratie zu stürzen. Was wir momentan erleben, ähnelt einem Drehbuch, an dessen Ende eine faschistische Revolution steht. 

Die Strategie der Neuen Rechten liest sich wie eine dunkle Prophezeiung

Die Diskussionen, die rechten Influencer, die viralen Videos und Songs wie im Sylt-Video – all das wurde teilweise vor Jahrzehnten ersponnen. Natürlich nicht exakt so, wie es heute passiert, aber auf die gleiche Art und Weise. Vordenker der selbsternannten intellektuellen Rechten wie Götz Kubitschek und Alt-Neonazis der NPD waren sich in einer Sache einig: Um in Deutschland die Demokratie abzuschaffen, braucht es drei Säulen: 

Den Kampf um die Köpfe, die Ideologie muss in die Mitte der Gesellschaft sickern. Extreme Positionen müssen immer normaler werden. Sie müssen so oft wiederholt werden, dass die Empörung ausbleibt. Irgendwann gelten sie als legitime Meinung – und seien sie noch so menschenfeindlich.

Den Kampf um die Straße führen rechtsextreme Gruppen spätestens seit Pegida. Ob „Merkel muss weg“-Demos oder „Montagsspaziergänge“ von „besorgten Bürgern“: rechte Gruppen sind omnipräsent, auch wenn es in den meisten Fällen nur ein paar Dutzend Protestler sind.

Den Kampf um die Parlamente führt selbstredend die AfD und hat mit den Siegen bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen einen großen Schritt gemacht. Über kurz oder lang, so scheint es, geht an der Partei, die eine Regierung bilden will, kein Weg vorbei.

Die Strategie der Neuen Rechten liest sich heute wie eine dunkle Prophezeiung. Aber an welchem Punkt stehen wir? Gigi Dagostino Neue Rechte11:28

Mit Blick auf die Ergebnisse der Landtagswahlen müssen wir uns eingestehen: Wir verlieren gerade den Kampf um die Köpfe unserer Kinder. Wer sich schon einmal auf Tiktok herumgetrieben hat, wie Jugendliche es jeden Tag stundenlang tun, stolpert sehr schnell über Clips, die rechte Propaganda verbreiten und dabei die schlimmsten Schreckensszenarien: Deutschland? Kurz vor dem Zusammenbruch. Ausländer? Lauter Vergewaltiger und Sozialschmarotzer. Die „Altparteien“? Wahlweise zu faul, zu dumm oder zu ignorant, um etwas zu ändern. 

Die ständige Wiederholung von AfD-Parolen ist die Taktik auf Tiktok

Es ist die Taktik der AfD, genau diese Parolen immer und immer wieder in die Köpfe der Jugend zu nageln. Irgendetwas wird hängen bleiben. Nicht beim ersten Video und nicht beim zweiten, doch vielleicht beim hundertsten. Der Tiktok-Erfolg von AfD-Mann Maximilian Krah ist genau auf diese Masche zurückzuführen. Am Anfang werden die meisten über diesen teigigen Endvierziger gelacht haben, der krude Thesen darüber ablässt, was heute „männlich“ sei. Doch das erste Opfer der Gewöhnung ist die Ironie. Und wenn der Humor verfliegt, ist der Schritt nur noch sehr klein von „was für ein Quatsch“ zu „da hat er einen Punkt …“.

Besonders gefährlich ist dabei, dass die sonstigen Parteien keinerlei Gegenpol zu den Tausenden Videos auf Tiktok setzen. Die AfD erreicht auf der Plattform dreimal mehr User als alle anderen zusammen. Im Tiktok-Meinungsmache-Universum ist sie sozusagen der politische Alleinunterhalter. Ihre Clips sind mittlerweile im Feed genauso normal wie Katzen- oder Urlaubsvideos.

Rechts sein ist in der Jugend edgy, vielleicht eine klassische Gegenbewegung zum zuletzt eher linken Konsens der Elterngeneration. Doch diese Ideologie verschwindet nicht so schnell, wie sie gekommen ist. Wenn wir nicht schnell reagieren, droht uns ein Teil einer ganzen Generation in eine menschenfeindliche Denkweise zu entgleiten.