Als Übersetzerin liest Bettina Abarbanell Bestseller ganz genau. Hier erzählt sie, warum es auf den ersten Satz ankommt und was Sprache über die Psyche der Menschen verrät.
Zuerst lese ich das Buch, die englische Fassung, das Original. Ich lese es langsam und genau, mit einem Stift in der Hand. An manchen Stellen mache ich mir Notizen, nicht viele. Während dieses ersten Lesens nehme ich die Atmosphäre des Buches auf: Welchen Ton hat es? Welche Stimme spricht zu mir? Ist es die eines Ichs oder wird in der dritten Person erzählt? Und kommt die Stimme dem Geschehen nahe oder bleibt sie eher distanziert? Ist die Stimme lustig, melancholisch, ernst, ironisch? Ich lese zwar leise, aber höre das Gelesene laut. Es hat in meinem Inneren eine akustische Wirkung, die mir hilft, ein Gespür für den Text zu entwickeln, seinen Rhythmus zu erkennen.
Dass ich einmal professionell Literatur übersetzen würde, habe ich mir nicht erträumt, das wäre mir vermessen vorgekommen. Ich habe Romanistik und Anglistik studiert, in Tübingen. Erst habe ich als Lektorin gearbeitet für einen Verlag in Frankfurt, aber bald habe ich gedacht, dass ich lieber selbst Texte übersetzen würde, als die zu korrigieren, die andere übersetzt haben. Ich bekam erste Aufträge durch schon bestehenden Verlagskontakte und hatte das Glück, mit Alexander Fest befreundet zu sein, der später Verleger bei Rowohlt war. Wir haben uns im Studium kennengelernt. Er hat mich öfter mit Übersetzungen beauftragt. Damals hatte er seinen eigenen kleinen Verlag, den Alexander-Fest-Verlag.
Ganz oben stehen die Originale, darunter Bettina Abarbanells Übersetzungen. Prominent plaziert die Erzählungen „Kleine Kratzer“ sowie der Roman „Bei aller Liebe“ der britischen Autorin Jane Campbell (rosa Cover), die sie zuletzt übersetzt hat
© Bettina Abarbanell
Einmal waren wir zusammen im Urlaub mit unseren Familien. Und plötzlich wedelte er mit einem Manuskript und sagte, er habe da etwas von einer amerikanischen Agentin, „etwas ganz Großes“. Es war das Kreuzfahrt-Kapitel aus den „Korrekturen“ von Jonathan Franzen. Ich habe es gelesen und fand es großartig. Alexander Fest hat dann Franzen unter Vertrag genommen und mir sein Buch zum Übersetzen gegeben, das liegt mehr als 20 Jahre zurück. Seitdem habe ich nicht nur Jonathan Franzens Bücher übersetzt, sondern etliche andere von Scott F. Fitzgerald, Denis Johnson, Rachel Kushner, Elisabeth Taylor, um nur einige zu nennen. Zuletzt habe ich zwei Werke der 82-jährigen Jane Campbell übersetzt, ihren Roman „Bei aller Liebe“ und ihre Erzählungen „Kleine Kratzer“, die hymnisch besprochen und von vielen begeistert gelesen wurden.
Als freie Übersetzerin habe ich immer zu Hause gearbeitet.
Das Übersetzen ist eine Kunst und ein Handwerk, das mich sehr erfüllt, aber auch einen langen Atem erfordert. Es ist eine einsame Arbeit, ich sitze viele Stunden allein am Schreibtisch. Wenn eine Abgabe droht, auch mal nachts. Bei den „Korrekturen“ von Jonathan Franzen habe ich gefühlt rund um die Uhr gearbeitet. Mein Mann ist damals mit unseren drei Kindern in den Urlaub gefahren, damit ich vorankommen konnte. Als freie Übersetzerin habe ich immer zu Hause gearbeitet, die Selbständigkeit empfinde ich als etwas Schönes. Mein Arbeitszimmer liegt mitten im Haus, direkt neben dem Eingang. Wenn die Kinder herumtobten, habe ich immer die Tür zugemacht mit den zum Running Gag gewordenen Worten: „Ihr müsst bedenken, das hier ist auch mein Arbeitszimmer!“ Heute sind sie längst erwachsen und lachen über diesen etwas verzweifelten Satz, mit dem ich mich früher abgrenzen wollte.
Ich muss nicht das Gesamtwerk eines Autors kennen, denn jedes Buch steht für sich. Wenn ich das Original durchgelesen und erste Notizen gemacht habe, beginne ich ganz unspektakulär mit der Übersetzung des ersten Satzes. Dafür nehme ich mir viel Zeit, denn der Anfang eines Textes setzt den Ton. Der erste Satz muss stimmen, sonst läuft alles in eine falsche Richtung. Ich übersetze das Buch immer chronologisch von vorne nach hinten. Manchmal gibt es Stellen, an denen hakt es. Die überspringe ich dann schon mal und sage: An denen arbeite ich morgen. Ich könnte aber nicht mit dem letzten Kapitel oder irgendwo in der Mitte beginnen.
STERN PAID 34_24 Jonathan Franzen IV 11:07
Sobald eine erste Fassung steht, gehe ich wieder an den Anfang und beginne mit einem zweiten Durchgang. Ich feile an den Sätzen und versuche, aus der Übersetzung einen Text zu machen, der klingt, als wäre er auf Deutsch geschrieben und nicht aus dem Englischen übersetzt. Das gelingt mir besser, wenn ich etwas Abstand habe. Mittlerweile habe ich verstanden, dass ich oft umso näher am Original bin, je weiter ich mich von dessen Satzbau entferne. Es geht darum, das Buch noch einmal zu schreiben, in meiner Sprache, auf Deutsch. Nicht umsonst habe ich das Urheberrecht an meinen Übersetzungen.
Während ich übersetze, sammele ich meine Fragen an die Autorin oder den Autor. Manchmal kommt in der Literatur ja Mehrdeutiges vor, und dann frage ich nach: Was ist hier genau gemeint? Jonathan Franzen zum Beispiel spricht Deutsch, er hat zwei Jahre in Berlin studiert. Deutschland interessiert ihn und die deutschen Übersetzungen seiner Bücher auch. Er hat von Anfang an gesagt, dass ihm keine Frage zu dumm wäre. In meinen E-Mails geht es dann um einzelne Wörter, ungewöhnliche Wendungen oder zum Beispiel auch um Markennamen, mit denen deutsche Leser vielleicht nicht viel anfangen können.
„Is there enough humor in it?“ fragt mich Jonathan Franzen oft.
Als ich seinen letzten Roman „Crossroads“ übersetzt habe, bat er mich, das erste Kapitel vorab lesen zu dürfen. Ich glaube, er hätte es erkannt, wenn ich seinen Ton nicht getroffen hätte. Er hat das Kapitel abgenickt und nur an zwei oder drei Stellen angemerkt: Das habe ich noch witziger gemeint, als es hier klingt! Das ist ihm das Wichtigste, dass seine Art von Ironie transportiert wird. „Is there enough humor in it?“, fragt er mich oft.
PAID Übersetzerin Gepard Panzer Ukraine 19.40
Sprache verrät viel über die Psyche eines Menschen, deshalb ist der Austausch mit den Autorinnen und Autoren persönlich. Ich schreibe mir mit Jane Campbell anders als mit Jonathan Franzen. Und natürlich hilft es mir, wenn ich sie kennenlerne, dann kann ich mich noch besser in sie hineinversetzen. Denis Johnson zum Beispiel habe ich mal getroffen, er war mir sehr sympathisch. Seine Bücher sind eher düster, aber mit einem berührend poetischen Hoffnungsschimmer. Sie handeln von Menschen am Rande der Gesellschaft, von Alkoholikern, Junkies, Gestrandeten, und haben trotzdem etwas Positives. In diese Welt musste ich mich erst reinfinden. Sie lag mir nicht so nahe wie Franzens, der aus der Mitte der Gesellschaft schreibt und eigentlich auch für die Mitte der Gesellschaft.
Zum Erscheinen von „Crossroads“ hatten wir eine Veranstaltung in Potsdam, wir saßen gemeinsam auf einer Bühne. Vorab war mir mulmig zumute, weil er so viel Bühnenerfahrung hat und eine große Präsenz. Aber wir hatten dann gemeinsam viel Spaß, ich mag ihn sehr, wir verstehen uns gut, und ich übersetze seine Romane sehr gern. Aber auf den zweiten Band von „Crossroads“ müssen wir wohl leider noch eine Weile warten.
Ich verdiene um die 25 Euro pro Seite.
Unsere Honorare sind gemessen am Anspruch dieser Arbeit dürftig. Ich verdiene um die 25 Euro pro Seite, und das ist vergleichsweise viel. Es gibt viele Übersetzerinnen, die weniger bekommen, und die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz macht es uns nicht leichter. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen wurden angefragt, eine KI-generierte Übersetzung zu überarbeiten. Sie haben abgelehnt. Wer so etwas anfragt, hat nicht verstanden, dass eine Literaturübersetzung nur zum Teil eine handwerkliche, im Wesentlichen aber eine künstlerische Arbeit ist, die von einer Maschine nicht übernommen werden kann.
STERN PAID Übersetzer Eike Schönfeldt17h
Im Schnitt schaffe ich 100 Seiten im Monat. Je schwieriger der Text ist, desto länger sitze ich dran und desto weniger verdiene ich – eine absurde Situation. Weil die Honorare so niedrig sind, machen viele Übersetzerinnen und Übersetzer nebenbei noch etwas anderes und arbeiten zum Beispiel als Dozenten oder Moderatoren. Außerdem gibt es den Deutschen Übersetzerfonds, der Stipendien vergibt. Ich habe schon oft eines bekommen, denn vom Honorar allein können wir Übersetzenden kaum leben.
Nachdem ich meine Übersetzung ein zweites Mal überarbeitet habe, schicke ich sie an die Lektorin oder den Lektor. Mit den meisten komme ich gut zurecht. Selten gibt es mal welche, die mir zu viel eingreifen, zu sehr ihren eigenen Ton setzen wollen. Aber es bleibt am Ende meine Übersetzung, ich muss nicht alle Änderungsvorschläge annehmen. Ich schaue mir alle an und entscheide dann im Sinne meines Gefühls für das Buch. Ein letztes Mal prüfe ich meine Fassung auf Fehler, wenn das Buch gesetzt wird.
Bis heute ist es ein berührender Moment, wenn das Paket mit den Belegexemplaren geliefert wird.
Mittlerweile gibt es Verlage, die den Namen der Übersetzerinnen und Übersetzer mit aufs Cover nehmen. Wir machen Lesungen oder werden dazu eingeladen, geben Radio-Interviews, werden insgesamt sichtbarer. Unser sehr aktiver Verband hat immerhin erstritten, dass wir am Erfolg eines Buches beteiligt sind, wenn auch nicht ab dem ersten, sondern erst ab dem 5000. Exemplar. Viele Bücher verkaufen sich nicht so oft. Die Bücher von Jonathan Franzen schon. Und auch die Erzählungen von Jane Campbell verkaufen sich gut, daran verdiene ich dann mit.
Ich erlebe meine Arbeit auch nach 30 Jahren und ungefähr 50 Übersetzungen als erfüllend. Bis heute ist es ein berührender Moment, wenn das Paket mit den Belegexemplaren geliefert wird. Plötzlich ist da ein Buch, vorher war es nur ein Dokument im Computer. Manche Menschen fragen mich, ob es mich nicht störe, im Schatten von Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu stehen. Natürlich sind Autoren wie Jonathan Franzen bekannter als ich, aber wir stehen in keiner Konkurrenz. Meine Arbeit ist eine völlig andere als seine. In seinem Schatten stünde ich nur, wenn ich versuchte, einen Familienroman zu schreiben. Das ist mir aber noch nie in den Sinn gekommen.