Fraktionen bündeln Meinungen und Interessen, strukturieren Prozesse im Parlamentsbetrieb. Im rheinland-pfälzischen Landtag wächst nun die Gruppe fraktionsloser Abgeordneter – mit Folgen.
Die Zerwürfnisse bei den Freien Wählern Rheinland-Pfalz und das Aus ihrer Fraktion haben Auswirkungen auf die künftige Arbeit des Landtags insgesamt und dürften noch eine Weile im politischen Mainz nachhallen. Klar ist, die Zahl der fraktionslosen Abgeordneten steigt damit dreieinhalb Jahre nach der vergangenen Landtagswahl weiter. Es könnte dazu kommen, dass die Geschäftsordnung des Parlaments noch mal geändert wird.
Landtagspräsident Hendrik Hering macht sehr deutlich, was er vom Aus für die Fraktion der Freien Wähler hält. „Unser Grundgesetz geht von einer Parteiendemokratie aus und legt fest, dass Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entspricht“, sagte er. Dann sollte es auch so sein, dass sich ihre Mitglieder und Mandatsträger an diesen innerfraktionellen demokratischen Gepflogenheiten und Abläufen orientieren.
Aus für die Fraktion der Freien Wähler
„Wenn Abgeordnete über einen persönlichen Streit ihren Fraktionsstatus verlieren, schadet das nicht nur den betroffenen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, den Mitarbeitenden sowie dem Ansehen ihrer Partei“, sagte Hering weiter. Vielmehr seien sie auch nicht mehr in der Lage, die Interessen ihrer Wähler „wirkungs- und verantwortungsvoll“ zu vertreten. So werde auch dem Vertrauen in die Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie ein Schaden zugefügt. „Ich erwarte von hauptamtlichen Politikerinnen und Politikern, die aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, dass sie persönliche Befindlichkeiten, gegenseitige Animositäten und Eitelkeiten zurückstellen und kompromissfähig sind.“
Genau solche persönlichen Animositäten gepaart mit Richtungsstreitigkeiten haben die Freien Wähler Rheinland-Pfalz in den vergangenen Monaten durchgeschüttelt. Das Ganze gipfelte zuletzt in einem Landesparteitag in Kordel, bei dem es zwischen einzelnen Lagern teils zu offenen Konflikten kam. Eine weitere Folge war, dass zwei der sechs Abgeordneten ihren Rückzug aus der Landtagsfraktion der Freien Wähler bekanntgaben. Da es mindestens fünf Mitglieder für eine Fraktion braucht, verliert diese mit dem zweiten Austritt, der am 6. Oktober vollzogen wird, ihren Status.
Damit fallen Geldleistungen weg, die Fraktionen bekommen. Dazu zählt ein Grundbetrag in Höhe von 70.025 Euro, ein sogenannter Steigerungsbetrag von 2.191 Euro für jedes Fraktionsmitglied sowie ein zusätzlicher Steigerungsbetrag von 514 Euro pro Mitglied für jede Fraktion, die die Landesregierung nicht trägt, also eine Oppositionsfraktion wie die der Freien Wähler. Bei diesen Beträgen handelt es sich um monatliche Leistungen, die die Fraktionen im Voraus erhalten, die Leistungen werden jährlich angepasst. Eine konkrete Folge des Verlusts des Fraktionsstatus: Die zehn Mitarbeiter müssen sich neue Jobs suchen.
Verlust des Fraktionsstatus hat immense finanzielle Folgen
Gekoppelt sind an den Fraktionsstatus auch einige politische Mitwirkungsrechte. Das Recht zur Einbringung eines Gesetzentwurfs ist nach der Geschäftsordnung des Landtags einer Fraktion oder acht Abgeordneten zugewiesen, aktuelle Debatten können ebenfalls nur von einer Fraktion oder acht Abgeordneten beantragt werden. In Landtagsausschüssen haben fraktionslose Abgeordnete nur ein Rede- und Antragsrecht, jedoch kein Stimmrecht. Darüber hinaus ist die Redezeit fraktionsloser Abgeordneter gegenüber der von Fraktionen reduziert.
Die Redezeitordnung war erst im März dieses Jahres auf Antrag der drei Ampel-Fraktionen sowie der Oppositionsfraktionen von CDU und Freien Wählern angepasst worden. Seinerzeit wurde die Redezeit eines fraktionslosen Abgeordneten auf insgesamt fünf Minuten pro Plenartag und maximal drei Minuten pro Aktueller Debatte an einem Tag begrenzt. Von der Redezeit wird die Zeit für Kurzinterventionen abgezogen. Davor hatten fraktionslose Abgeordnete drei Minuten für jeden Verhandlungspunkt.
In dem Antrag von damals hieß es, die zuvor geltende Redezeitordnung führe im Ergebnis zu einer überproportionalen Berücksichtigung fraktionsloser Abgeordneter, die gemessen an der den Fraktionen zustehenden Redezeit nicht mehr vertretbar sei. Die Änderung sichere die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtags. Das zielt darauf ab, dass Fraktionen letztlich Meinungen und Positionen bündeln. Ein ans Redepult tretender sozialdemokratischer Abgeordneter spricht eben nicht nur für sich, sondern stellvertretend für alle aktuell 39 SPD-Vertreter im Plenum.
Künftig zehn fraktionslose Abgeordnete
Mit dem Ende der Fraktion der Freien Wähler steigt die Zahl der fraktionslosen Abgeordneten von vier auf zehn. Neben den sechs Vertretern der Freien Wähler sind das der frühere grüne und mittlerweile in das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eingetretene Abgeordnete Andreas Hartenfels sowie Michael Frisch, Martin Louis Schmidt und Matthias Joa, die früher alle Teil der AfD-Fraktion waren. Vonseiten des Landtags heißt es, es sei nicht ausgeschlossen, dass weiter nachjustiert werde bei der Geschäftsordnung. Erst sei aber abzuwarten, wie sich die parlamentarische Debatte und Entscheidungsfindung durch die Anzahl fraktionsloser Mitglieder tatsächlich verändere.
Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun erwartet spürbare Folgen der gewachsenen Zahl fraktionsloser Abgeordneter. „Für den Parlamentsalltag wird es ein bisschen schwieriger, das alles auszubalancieren“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Das betreffe auch die Arbeit in den Ausschüssen des Parlaments. Ausbalancieren müssten das Landtagspräsidium und die Ausschussvorsitzenden, sagte Jun. „Es bringt mehr organisatorischen Aufwand.“
Jun sieht außerdem die Opposition insgesamt geschwächt, kommen doch bis auf Hartenfels alle nun fraktionslosen Abgeordneten aus deren Reihen. „Das bedeutet, dass die CDU sagen kann, dass sie die einzige geschlossene Oppositionsfraktion ist“, sagte Jun. „Eine geschwächte Opposition ist immer günstig für eine Regierungskoalition.“