Presseschau: "Gute Besserung, lieber Kevin Kühnert": Das schreiben Medien zum Rücktritt
Kevin Kühnert hat mit seinem Rücktritt als Generalsekretär nicht nur die SPD, sondern auch deutsche Medien überrascht. Dennoch zollen die meisten ihm für die Entscheidung Respekt.

Kevin Kühnert hat mit seinem Rücktritt als Generalsekretär nicht nur die SPD, sondern auch deutsche Medien überrascht. Dennoch zollen die meisten ihm für die Entscheidung Respekt.

Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl kann er nicht mehr: Aus gesundheitlichen Gründen tritt Kevin Kühnert als Generalsekretär der SPD zurück. Auch für den Bundestag werde er nicht erneut kandidieren, erklärte der 35-Jährige in einem Brief an Parteimitglieder und Öffentlichkeit. Damit verliert die SPD in einer strategisch wichtigen Phase ihren Wahlkampf-Manager – und vorerst eins ihrer größten politischen Talente. 

Kevin Kühnert und sein Rücktritt

Badische Zeitung (Freiburg)

Kühnert, der klug argumentieren, aber auch hart austeilen konnte, musste selbst zunehmend einstecken, öfter unfair, zuletzt aus den eigenen Reihen jenseits allen Anstands. So ein Kesseltreiben macht mürbe. Hinzu kam die Perspektive eines Wahlkampfes mit einer Kanzlerpartei in der Krise. Aufbauend dürfte auch das nicht gewirkt haben. In einem Brief schreibt Kühnert selbst, ihm fehle momentan die Energie dafür. Man wünscht sich, dass er sie bald wieder findet. Für sich als Mensch wie als politischer Kopf.“STERN PAID 18_24 Kevin Kühnert IV 0.01

Frankfurter Rundschau

„Dass Kevin Kühnert als SPD-Generalsekretär zurücktritt, ist eine faustdicke Überraschung. Dies gilt umso mehr, als der 35-Jährige auch auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag verzichtet. Damit endet vorerst die Karriere eines Hochengagierten – und Hochbegabten. Das ist ein herber Verlust für die SPD und ein indirektes Symptom ihrer Krise. Sicher, Kühnert war nicht unumstritten, keine Politikerin und kein Politiker ist das. Das gilt für seine Zeit als Chef der Jungsozialisten wie für seine Zeit als Generalsekretär. Den einen war er anfangs zu aufmüpfig, den anderen schon bald zu angepasst. Der Rücktritt ist aber auch persönlich tragisch. Kühnert brennt für die Sozialdemokratie. So einer geht nicht, wenn er nicht muss – nicht in dem Alter und mit den Perspektiven. Zwar wissen wir nichts über die gesundheitlichen Ursachen. Das ist zu Recht Privatsache. Tatsächlich ist es zuletzt jedoch öfter vorgekommen, dass Politikerinnen oder Politiker nicht mehr konnten, wie sie wollten.“

Lausitzer Rundschau (Cottbus)

„Kühnert hat mit diesem offenen Eingeständnis den richtigen Ton getroffen, in doppelter Weise. Er sagt zum einen, dass keine Aufgabe, kein Job so wichtig sein kann wie die eigene Gesundheit, und er sagt all das in klaren und wohl gewählten Worten. Schon daran zeigt sich, wie groß der Verlust ist, den die SPD mit Kühnerts Abgang zu tragen hat, welches enorme politische Talent der 35-Jährige ist. Er wird schwer zu ersetzen sein.“Europawahl Reaktionen 1940

Neue Osnabrücker Zeitung

„Dass Spitzenpolitik krank machen kann, dass sie denen, die sie betreiben wollen, geradezu Übermenschliches abverlangt, das weiß man schon länger. Von Peter Tauber über Michael Roth bis hin zu Sahra Wagenknecht reicht die Liste prominenter Persönlichkeiten, die ihr Leiden an den bisweilen monströsen Anforderungen des Betriebs schon zum Thema gemacht haben. Wenn man diesen Job voll und ganz machen will, droht er einen aufzufressen. Und mit Kevin Kühnert verlässt eine Persönlichkeit die politische Bühne, die ihn voller und ganzer gemacht hat als viele andere. Gemessen an seinen Fähigkeiten bleibt seine politische Karriere unvollendet, und das ist nicht nur für ihn persönlich bedauerlich. Es ist – das werden auch viele seiner politischen Gegner anerkennen – ein Verlust für die ganze Bundesrepublik.“

Nürnberger Nachrichten

„Für seine konsequente Haltung spricht, dass er nicht nur das Amt des Generalsekretärs niederlegt, sondern auch nicht wieder für den Bundestag kandidieren will. Das macht die gesundheitlichen Gründe doppelt glaubwürdig. Ihm ist nur gute Besserung zu wünschen.“

Reutlinger General-Anzeiger

„Paukenschlag in Berlin: Kevin Kühnert tritt als Generalsekretär der SPD zurück. Der 35-Jährige begründete diesen Schritt mit gesundheitlichen Problemen. Nicht nur der Fall Kühnert zeigt: Der Druck an der Spitze der Politik ist enorm. Auch der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und der SPD-Politiker Michael Roth hatten erst vor Kurzem öffentlich gemacht, dass der Politik-Betrieb ihnen seelisch zugesetzt habe. Neben den häufigen 16-Stunden-Tagen, tragen auch die ständige Präsenz in der Öffentlichkeit und die wiederkehrende Kritik an der eigenen Person zum hohen Risiko eines Burn-outs im Politik-Betrieb bei. Vielleicht sollten wir uns öfter daran erinnern, dass Politiker und Politikerinnen auch nur Menschen sind. Und ihr sprichwörtlich dickes Fell nicht immer aus Teflon ist.“Miersch neuer Generalsekretär 20.10

Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung

„Der Bundestagswahlkampf wird ein Kraftakt, der jedem volle Power abverlangt. Wenn sich Kühnert gesundheitlich nicht in der Lage sieht, volle Leistung zu bringen, ist sein Rücktritt konsequent. Der Nachfolger sollte jemand sein, der einen Draht zu den Leuten findet. Und zwar nicht nur in den Städten. Jemand, der ihre Sorgen und Befindlichkeiten kennt. Und vor allem jemand, der schon einmal einen Betrieb von innen gesehen hat. Nicht nur als Besucher.“

Stuttgarter Nachrichten

„Kevin Kühnert stand bis zuletzt an der Spitze jener tapferen halbherzigen Genossen, die sich weiter für Scholz als Spitzenkandidaten in die Bresche werfen. Sein Rücktritt mag die wabernde Debatte nicht befeuern, beruhigen wird er sie auch nicht. Deshalb muss die Parteispitze schnell einen optimistisch klingenden Nachfolgevorschlag unterbreiten. Man sei vorbereitet, sagt Co-Chefin Saskia Esken. In der Ampel dürften nicht nur Grüne und Liberale genau hinsehen.“

Stuttgarter Zeitung

„Den ‚Herbst der Entscheidungen‘ hatten sich die Ampelparteien wohl anders vorgestellt. Vom Publikum ganz zu schweigen. Erst sehen sich die Grünen gezwungen, ihre Parteispitze neu zu besetzen. Jetzt braucht die SPD einen neuen Generalsekretär. Mit dem gesundheitsbedingten Rückzug von Kevin Kühnert kommt den Genossen ein politisches Ausnahmetalent abhanden, das zuletzt freilich nicht immer geschickt agiert hatte. Die Malaise der Kanzlerpartei hat jedoch andere Gründe. Auch wenn sich rasch ein neuer Wahlkampfmanager findet, wird es damit allein nicht getan sein. Problematischer wirkt die Personalie Nummer eins: Ist Olaf Scholz wirklich der richtige Kanzlerkandidat für die Wahl im kommenden Jahr? Das Misstrauen und der Unmut gegen seine Regierungsführung war nie größer als jetzt.“

Volksstimme (Magdeburg)

„Kevin Kühnert ist unbenommen einer der Talentierteren innerhalb der SPD-Führungsriege. Intelligent und argumentationssicher, versteht es der 35-Jährige, eine Debatte zu führen und zu lenken. Allerdings gilt dies nur innerhalb eines bestimmten Zirkels. Kühnert war mal populärer, sehr linker Jungsozialisten-Chef – eine Rolle, der er nie glaubwürdig entwachsen ist. Kühnert kämpfte mal gegen die GroKo mit der gleichen Vehemenz wie heute mit Vehemenz gegen die AfD. Wobei er die Rechtspopulisten immer noch so behandelt wie sein Kanzler – als würden sie bei kluger SPD-Politik von selbst wieder verschwinden. Die eigenen Maßstäbe immer wieder an zurechtgebogene sozialdemokratische Politik anzupassen, bedeutete einen Dauer-Spagat, dem sich der SPD-Generalsekretär nach knapp drei Jahren im Amt nicht mehr gewachsen sah. Die Erosion der Ampel schreitet voran – aus den Regierungsparteien heraus. Erst die Grünen-Chefs, jetzt der SPD-General. Fortsetzung folgt.“

Die Welt

„Politik darf nicht nur das Geschäft der harten Hunde und zähen Biester werden. Resilienz ist wichtig, aber die Gesellschaft muss für sich entscheiden, wie sie mit ihren Politikern umgeht, wenn sie will, dass auch die besten und klügsten Köpfe ihrer Generation darauf Lust haben. Schon heute tun sich auch die großen Parteien schwer, Leute aus guten Jobs zu locken, um mit deren Expertise aus Wissenschaft, Wirtschaft oder Kultur in die nicht von ungefähr sogenannte Schlangengrube Politik einzusteigen. Das ist keine gute Entwicklung.

Gute Besserung, lieber Kevin Kühnert.“