Meinung: Ein Wahlkampf zum Abgewöhnen
Die Unterschiede zwischen den Kandidaten Trump und Harris könnten größer nicht sein. Und doch war der US-Wahlkampf so inhaltslos wie nie. 

Die Unterschiede zwischen den Kandidaten Trump und Harris könnten größer nicht sein. Und doch war der US-Wahlkampf so inhaltslos wie nie. 

Es ist ein weiteres Jahr vieler Naturkatastrophen in den USA, doch das Thema Klimawandel tauchte im Wahlkampf nicht auf. Es ist das Jahr erbitterter Kriege in der Welt, aber die Ukraine und Gaza spielten kaum eine Rolle, an den Sudan war schon mal gar nicht zu denken. 

Man hätte im Wahlkampf vielleicht auch mal ein Wort über die Zukunft der Nato verlieren können, über Chinas Drohgebärden, über den Iran, Taiwan, aber die internationale Politik fand schlichtweg nicht statt.

Im Endeffekt ging es in diesem Wahlkampf nur um Slogans: Grenzen schützen. Vor Inflation schützen. Vor Migranten schützen. Vor Kriminalität schützen. Renten sichern. Das Recht auf Abtreibung sichern. Es ging um den Rundumschutz des amerikanischen Volkes, dem es gerade nicht gut geht. 

Wie sie das erreichen wollen, beantworteten die Kandidaten allerdings nicht – oder nur sehr vage.

Donald Trumps wichtigste Wahlversprechen 19:09

US-Wahl: Beide Kandidaten blieben vage

Das lag nicht nur an Donald Trump, der jedem substanziellen Interview aus dem Weg geht. Auch Kamala Harris war nicht in der Lage, Wählern klare Antworten zu geben, auch sie versteckte sich gern hinter wolkigen Absichtserklärungen.

Bei einigen Themen schien sie sich Trump sogar anzunähern: Harris gab damit an, dass die USA so viel Erdöl produzierten wie noch nie – was Donald Trump noch übertreffen will. Harris pries die harte Linie der Regierung an der mexikanischen Grenze – was Trump übertreffen will, indem er das Militär einsetzt, um Millionen Migranten zu deportieren.

PAID Wie Trump die Wahl stehlen könnte 9:07

Es gab nur ein direktes TV-Duell – das Harris klar gewann – und es blieb nicht viel mehr hängen, als dass Trump „Konzepte eines Plans“ hat und Harris auf die Nöte der Amerikaner hören will.

Mehr als zehn Milliarden Dollar investierten beide Seiten in den Wahlkampf – vieles kam von Milliardären – doch auch das trug nicht zur Aufklärung bei, im Gegenteil. Tech-Mogul Elon Musk, der reichste Mann der Welt, setzte in großem Stil auf Desinformation und Verschwörungstheorien, als wollte er sich ein neues Geschäftsfeld aufbauen: die Verseuchung des menschlichen Gehirns. 

Auch ihm ging es an Trumps Seite nur um den totalen Sieg – nicht etwa um schadstoffarme Autos und eine gesündere Welt, die ihm angeblich so wichtig sind. 

Trump oder Nicht-Trump – darum ging es

Der Wahlkampf erschien unendlich lang und war doch sehr viel kürzer als sonst, weil Kamala Harris das Ruder erst Mitte Juli von Joe Biden übernahm. Aber das entschuldigt nur teilweise, dass auch sie nur wenig Konkretes lieferte.  

PAID Kamala Harris Politikbereiche 19.59

Letztendlich ging es bei dieser Wahl nicht mal um die großen Themen Inflation und Migration, sondern darum: Trump – oder Nicht-Trump. Einen Personenkult zu stärken – oder zu verhindern. Trump schwebt über allem – als vermeintlicher Erlöser des Landes – oder als dessen Zerstörer. Trumps Leute wählen Trump, weil sie Trump vergöttern. Harris‘ Leute wählen Harris, weil sie Trump verhindern wollen. 

Es trifft wohl zu, dass kein Kandidat in der Geschichte der USA eine Wahl so bestimmt hat – im Positiven wie Negativen – selbst Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt nicht, von John F. Kennedy oder Barack Obama ganz zu schweigen.

Trump darf Ausländer „Schädlinge“ nennen und die Vizepräsidentin „dumm“ und „scheiße“ – und wird doch immer wieder in die Manege gelassen, weil man sich bei ihm an so viel Diffamierung gewöhnt hat, dass nichts mehr überrascht. Kein anderer hätte je antreten dürfen, nachdem er strafrechtlich verurteilt wurde. Jeder andere hätte sich verstecken müssen, nachdem er zum Sturm aufs Kapitol rief. 

Trump als Straftäter spielte keine Rolle mehr

Aber all das spielte keine Rolle im Wahlkampf. Kamala Harris versuchte es, sie kam aber nicht an gegen Trump und die beiden Themen Inflation und Migration. Zum Schluss rang sie sich dazu durch, Trump als „Faschisten“ zu bezeichnen, nachdem viele andere es getan hatten, Ex-Generäle, Ex-Minister, die Trump aus der Nähe beobachtet hatten. 

Womöglich war es für Harris angesichts der Überfigur Trump zu schwer, mit einem Wahlprogramm durchzudringen, aber viele Bürger hätten sich das gewünscht, so sagten sie in Interviews. Sie konnten weder Harris richtig fassen noch ihr Programm. Fragte man sie, wofür Harris steht, fiel höchstens mal das Wort Abtreibungsrechte – und das tatsächlich mit großer Berechtigung.

Die Kritik ist berechtigt. Harris ist Teil der Biden-Regierung, und die Menschen sind größtenteils unzufrieden mit ihrer Politik. Es wäre erfrischend gewesen, wenn sie deutlicher gesagt hätte: Beim Thema xy habe ich andere Ansichten als Joe Biden und werde eine andere Politik machen, nämlich konkret diese und jene.

Dass von Donald Trump keine Inhalte zu erwarten sind, erklärt sich von selbst. Seine Inhalte beschränken sich auf das Niedermachen seiner Gegner und das Anhimmeln seiner selbst. Er muss jeden Wahlkampf und jedes Gespräch erstmal von Inhalten befreien, um eine Chance zu haben. Tatsächlich haben ihn Inhalte und Fakten nie interessiert, auch im Weißen Haus nicht, wie seine Mitarbeiter bestätigen, weder Rentenpolitik noch Außenpolitik, nicht mal die Pandemie. Es geht immer nur um Sieg oder Niederlage und die eigenen Profite. 

US-Wahl Zeitpunkt Hochrechnungen und Ergebnisse.  19.45

Alle vier Jahre kommt man zum selben Schluss: Was für ein inhaltsfreier Wahlkampf. Es geht um fabrizierte Skandale (John Kerrys Kriegsbootseinsatz). Wirklichkeitsfremde Nichtigkeiten (Obamas radikaler Pastor). Themen, die keine sind (Hillary Clintons E-Mails). Versprecher, die zum Skandal aufgebauscht werden (Joe Biden). Aber nicht um eine konkrete Vision für das Land, um den eigentlichen Kern dieses politischen Wettbewerbs. 

Der Wahlkampf 2024 übertraf das alles. Einer Demokratie ist das nicht würdig, schon gar nicht der ältesten und angeblich besten Demokratie der Welt.