Auf der Tagesordnung des Parlaments steht schlicht „Änderung des Schulgesetzes“. Dahinter verbirgt sich aber eine ganze Reihe von Neuerungen für die Schüler, Lehrer und Eltern im Land.
Eigentlich hatte Grün-Schwarz im Koalitionsvertrag keine größeren Änderungen am Schulsystem geplant. Dann kam alles anders und die Koalition einigte sich unter Druck einer Elterninitiative auf eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Auch bei den anderen Schularten sind Änderungen geplant. Zudem soll massiv in Sprachförderung investiert werden. Nun soll der Landtag zum ersten Mal über die dafür nötigen Anpassungen im Schulgesetz debattieren. Sie sollen schon im nächsten Jahr in Kraft treten. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was ändert sich in den Kitas?
Mit dem Gesetz bringt das Land ein millionenschweres Paket zur Sprachförderung an Kitas und Grundschulen auf den Weg. Dafür investiert Grün-Schwarz in den kommenden beiden Jahren 200 Millionen Euro, hinzu sollen noch 60 Millionen vom Bund kommen. Kinder, die bei der Schuleingangsuntersuchung noch sprachliche Probleme haben, sollen noch vor der Einschulung ein intensives Sprachtraining mit vier Stunden pro Woche bekommen.
Sprechen die Kinder danach noch immer nicht ausreichend Deutsch, um eine Grundschule besuchen zu können, sollen sie ab dem Schuljahr 2026/2027 in sogenannten Juniorklassen gefördert werden. Bis zu Schuljahr 2028/2029 sollen dem Gesetzentwurf zufolge dafür landesweit 832 Standorte geschaffen werden. Dann wird die Sprachförderung laut Landesregierung auch verbindlich.
Wie sieht die neue Grundschulempfehlung aus?
Seit 2013 konnten allein die Eltern entscheiden, auf welche weiterführende Schule ihr Kind nach dem Ende der Grundschulzeit gehen soll. Für die derzeitigen Viertklässler wird die Grundschulempfehlung nach dem Willen der Landesregierung wieder verbindlicher.
An Stelle des reinen Elternwillens steht künftig ein Modell aus drei Komponenten: Lehrerempfehlung, Kompetenztest und Elternwunsch. Stimmen zwei aus drei überein, soll das den Ausschlag geben. Wollen die Eltern ihr Kind dennoch aufs Gymnasium schicken, soll das Kind künftig einen weiteren Test absolvieren. Verbindlich ist die Empfehlung allerdings nur für das Gymnasium.
Wie kommt die neue Regelung an?
Nicht so gut. So hatte die Lehrergewerkschaft GEW erst kürzlich den erstmals durchgeführten Kompetenztest für die Viertklässler scharf kritisiert. „Wir brauchen kein neues Grundschul-Abi, das Kinder und Eltern mit fragwürdigen Inhalten unnötig unter Druck setzt“, erklärte GEW-Landeschefin Monika Stein und forderte die Abschaffung. Der Test demotiviere die Kinder und führe zu Versagensängsten. Lehrerinnen und Lehrer sagten laut GEW, die Testergebnisse stimmten überhaupt nicht mit ihrer Einschätzung der Kinder überein.
Auch der Landeselternbeirat hatte sich gegen mehr Verbindlichkeit ausgesprochen. Eine Bevormundung der Eltern sei unverhältnismäßig, sagte der Vorsitzende Sebastian Kölsch. Die Eltern bräuchten gute Informationen und keine Zugangsbeschränkungen.
Was ändert sich bei den Gymnasien?
Dort soll nach dem Willen der Landesregierung wieder das Abitur nach neun Schuljahren zum Standard werden, zunächst beginnend mit den Klassen fünf und sechs zum Beginn des kommenden Schuljahres. Derzeit ist das achtjährige Gymnasium Standard in Baden-Württemberg.
Wie sieht das neue G9 inhaltlich aus?
Das neunjährige Gymnasium soll neben der Verlängerung um ein Jahr auch zeitgemäß ausgestaltet werden. Das Konzept der Kultusministerin sieht etwa eine Stärkung der naturwissenschaftlichen Fächer vor. Kompetenzen im Bereich Informatik, Künstliche Intelligenz und Medienbildung sollen Schüler künftig in einem eigenen Schulfach erlernen, das von Klasse 5 bis Klasse 11 durchgehend unterrichtet werden soll.
Zudem soll das neue neunjährige Gymnasium mehr berufliche Orientierung, mehr Demokratiebildung und auch einen stärkeren Fokus auf die Basiskompetenzen bekommen. Konkret sollen etwa in der fünften und sechsten Klasse die Fächer Deutsch und Mathematik gestärkt werden.
Was ändert sich bei Werkrealschulen, Realschulen und Gemeinschaftsschulen?
Mit dem neuen Schulgesetz schafft Grün-Schwarz den Werkrealschulabschluss ab. Der letzte Jahrgang, der diesen noch ablegen können soll, hat bereits zum laufenden Schuljahr begonnen. Bestehende Werkrealschulen sollen aber als Standorte erhalten bleiben und entweder Verbünde mit Realschulen oder Gemeinschaftsschulen eingehen oder als Hauptschulen weitermachen.
An den Realschulen soll die sogenannte Orientierungsphase verkürzt werden. Diese umfasst derzeit die fünfte und sechste Klasse und soll künftig nur ein Schuljahr dauern. In dem einen Schuljahr lernen alle Kinder auf dem mittleren Niveau. Nach dem Jahr wird dann geschaut, wer künftig auf diesem Niveau weiterlernt und den Realschulabschluss anstrebt und wer künftig auf grundlegendem Niveau unterrichtet und auf den Hauptschulabschluss vorbereitet wird. Die Gemeinschaftsschulen sollen mit dem Reformpaket künftig zwei Wochenstunden pro Zug für individuelle Coachings zugewiesen bekommen.
Warum macht Grün-Schwarz überhaupt diese Reformen?
Aus verschiedenen Gründen. Mit den Maßnahmen zur Sprachförderung reagiert die Regierung auf deutliche Leistungseinbrüche bei Grundschülern. Bildungsstudien hatten in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es mit den Leistungen in vielen Kernfächern bergab geht.
Im Jahr 2022 zeigten das etwa schlechte Testergebnisse bei Viertklässlern in Mathematik und Deutsch: Fast jedes fünfte Kind schaffte die Mindeststandards in den zwei Fächern nicht. Und auch der Anteil der starken Schülerinnen und Schüler sank, die den Regelstandard in Deutsch und Mathematik schaffen oder übertreffen.
Die Rückkehr zu G9 brachte die Koalition unter dem massiven Druck einer Elterninitiative auf den Weg. Diese hatte für einen Volksantrag, der die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium vorsah, mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt. Zudem hatte auch ein Bürgerforum der Landesregierung die Rückkehr zu G9 empfohlen. Diesem Druck hatte Grün-Schwarz im Dezember 2023 nachgegeben und den Weg für eine Rückkehr freigemacht.
Wie kommt das im Parlament an?
Bei der Opposition wie erwartet gar nicht gut: Der FDP-Bildungsexperte Timm Kern hält die Abschaffung des Werkrealschulabschlusses für einen „schweren bildungspolitischen Fehler“. Richtig und wichtig sei dagegen die geplante Sprachförderung – diese komme aber zu spät.
Der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei kritisierte im Landtag fehlende Perspektiven für derzeitige Schülerinnen und Schüler am Gymnasium. „Sie geben weiterhin keine Antwort, wie Sie den Druck von den älteren Jahrgängen an den Gymnasien nehmen wollen“, sagte er. Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rainer Balzer, forderte unter anderem, dass die Grundschulempfehlung künftig wieder für alle Schularten und nicht nur für das Gymnasium verbindlich sein sollte.
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) verteidigte die Reformen dagegen als „guten Kompromiss“. CDU-Bildungspolitiker Andreas Sturm sprach von „wichtigen Weichenstellungen“.