Seine Mutter ist Schauspielerin Senta Berger. Hier spricht der Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven über Gefühle, aus denen kleine Turbulenzen entstehen können.
Wie oft begegnen Sie Ihre Mutter im Alltag?
Ich habe meine Eltern immer zwei, dreimal die Woche gesehen. Meistens am Wochenende. Seit mein Vater gestorben ist, höre ich meine Mutter jeden Tag. Wir wohnen nicht weit voneinander weg.
Waren die Treffen am Wochenende eine Familientradition, oder sahen Sie sich so regelmäßig, weil es Ihr Wunsch war?
Das ergab sich schon aus unserer Verbindung heraus, die ich leben wollte. Ich war sehr eng mit meinen Eltern, und deswegen habe ich gerne Zeit mit ihnen verbracht. Wir haben über alles Mögliche gesprochen. Wenn ich Rat brauchte, habe ich ihn bekommen, und wenn ich Sorgen hatte, konnte ich mit ihnen darüber sprechen.
Wie unterscheidet sich die Beziehung, die Sie zu Ihrer Mutter haben von der, die Sie mit Ihrem Vater pflegten?
Wenn ich größere Probleme hatte, bin ich definitiv zu meinem Vater gegangen, weil meine Mutter dafür zu emotional ist. Zu schnell besorgt, zu sensibel. Mein Vater war ruhiger. Gefilterter, besonnener. Aber ich habe zu beiden Elternteilen ein sehr ehrliches, emotionales und auch leidenschaftliches Verhältnis gehabt. Meine Mutter und ich sind emotionaler miteinander. Immer schon gewesen. Es ist einfach eine Liebesbeziehung, in der wir schneller in aufbrausende Situationen oder kleine Turbulenzen geraten.
„Meine Mutter ist sehr leidenschaftlich und stark in ihren Meinungen“
Was löst solche Turbulenzen aus?
Wenn wir miteinander diskutieren, egal ob über Politisches, Gesellschaftliches oder nur darüber, in welches Theaterstück wir gehen, können wir uns sehr schnell gegenseitig hochschaukeln. Wir diskutieren dann beispielsweise über einen Film, als ginge es um das Fortbestehen der Welt. Meine Mutter ist sehr leidenschaftlich, sehr stark in ihren Meinungen. Am Schluss sind wir beide völlig erschöpft und fallen uns in die Arme.
Ihre Mutter ist die international berühmte Schauspielerin Senta Berger. Hatte ihre Prominenz einen Einfluss auf Ihre Beziehung zueinander?
Nein. Als kleines Kind ist mir zwar aufgefallen, dass meine Mutter öfter angeschaut wird, aber darüber habe ich nicht weiter nachgedacht. Später in der Schule merkt man dann plötzlich, dass man ein bisschen verletzlicher ist als andere, weil über die Mutter gesprochen wird und auch mal eine fiese Bemerkung fällt. Andererseits ist man auch besonders stolz darauf, so eine Mutter zu haben.
Was würden Sie sagen, ist das Erbe Ihrer Mutter in Ihnen?
Haltung beziehen, das heißt, sich eine Meinung zu bilden und diese vehement zu vertreten, selbst wenn sie jemandem nicht in den Kram passt. Meine Mutter hat stets versucht, unabhängig zu denken, und das versuche ich auch. Auch wenn es in einer Zeit, die sehr von Social Media und anderen diffusen Nachrichtenquellen bestimmt wird, alles andere als leicht ist, sich eine unabhängige Meinung zu bilden. Ich denke, am meisten hat sie mich in der Pubertät geprägt.
Inwiefern?
Mit 16 oder 17 Jahren habe ich mir oft die Nächte um die Ohren gehauen, bin im Bett gelegen und wollte an manchen Tagen nicht in die Schule gehen. Sie hat dann oft zu mir gesagt: „Du musst deinem Leben eine Form geben, sonst hat das alles keinen Sinn.“ Sie war unglaublich diszipliniert. Diese Haltung hat mich sehr geprägt. Einen richtigen Leerlauf, also verlorene Stunden, gibt es bei meiner Mutter nicht. Selbst wenn sie zum Supermarkt fährt und Gemüse kauft, kommt sie mit einer Geschichte zurück, mit irgendeiner kleinen Beobachtung. Sie zeigt mir, dass es jeder Tag wert ist, erobert zu werden. Wenn meine Mutter mich nach der Schule gefragt hat, wie es war und ich sagte „Ach, nichts Besonderes“, dann fand sie das furchtbar. So nach dem Motto: Es muss doch etwas passiert sein, das es wert ist, erzählt zu werden.
„Ich erinnere mich an den Geruch ihrer Nähe“
Ich sehe Ihre Mutter vor mir und meine mir vorstellen zu können, wie nah Sie miteinander sind. Wie riecht Ihre Mutter?
Gut! Als ich so drei, vier Jahre alt war und sie mich ins Bett gebracht hat, sang sie oft das Wiegenlied „La-Le-Lu“. Ich kann mich noch gut an den Geruch ihrer Haut und ihrer Haare erinnern. An den Geruch ihrer Nähe. Dieses Glück, wenn man als vierjähriger Junge ins Bett gebracht wird und in dieser absolut herrlichen Geborgenheit einschlafen kann, erlebt man vielleicht nie wieder in seinem Leben.
Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn wird ja oft als eine besondere beschrieben. Woran liegt das, was glauben Sie?
Es sind zwei verschiedene Geschlechter. Ähnlich ist es bei der Vater-Tochter-Beziehung, die ist auch eine besondere. Ich weiß nicht, inwiefern sich die Beziehung zwischen Mutter und Sohn mit einer Liebesbeziehung vergleichen lässt. Wenn ich als kleiner Junge einen Kuss von der Mutter bekommen habe, sie zärtlich über meine Haare strich, dann löst das ein anderes Gefühl aus, als wenn es mein Vater tut.
Es existiert außerdem weniger Konkurrenz.
Das sicherlich auch. Ich bin in dieser Frau gewachsen, darüber denke ich manchmal nach, dass ich ja wirklich als Wesen im Bauch dieser Frau, dieses Menschen gewachsen bin. Diese Nähe und diese Einheit spielen sicherlich emotional und psychologisch ein Leben lang eine Rolle. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich mit meiner Mutter eine Innigkeit spüre, die unerreichbar ist.
„Meine Großmutter war eine Kämpferin“
„Dem Leben eine Form geben“ – ist das eigentlich eine Einladung, die Ihre Mutter auch als Großmutter an Ihre Kinder weitergibt?
Auf jeden Fall. Sie lebt jetzt nicht in unserer Mitte, so wie es meine Großmutter Resi getan hat – von der sie im Übrigen auch viel hat, vor allem Stabilität. Meine Großmutter war eine bäuerliche Kämpferin, die mit 14 Jahren die ganze Familie versorgen musste, weil ihre Mutter gestorben und ihr Vater Alkoholiker war. Sie musste sehr früh eine große Lebensstärke und Widerstandsfähigkeit entwickeln. Eine Eigenschaft, die auch meine Mutter hat. Und ich denke, dass sie diese auch meinen Söhnen weitergibt.
Im April ist Ihr Vater, der Regisseur Michael Verhoeven gestorben. Hat das Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter noch einmal verändert?
Ja, sie ist jetzt eine andere. Sie ist verletzlicher und einsamer. Sie war immer stark für uns alle, und jetzt strahlt sie einfach mehr Verletzlichkeit aus. Mein Vater war die Liebe ihres Lebens, er fehlt ihr enorm. Das kann ich als Sohn nicht ausgleichen. Natürlich bin ich für sie da, mehr als zuvor, und mache Angebote. Aber an diesen großen Schmerz komme ich nicht heran.