Barbara Siebecks Mutter warnte ihre Tochter immer vor Männern. Aber von ihr erbte die Galeristin und Witwe des Gastrokritikers Wolfram Siebeck auch die Leichtigkeit des Seins.
Wenn ich alte Briefe sortiere, steht meine Mutter vor mir wie eh und je. Meine Erinnerungen an sie verblassen nicht, und darüber bin ich froh. Meine Mutter hatte magische Kräfte. Früher kam sie mich immer im rechten Moment besuchen. Sie tauchte auf und war schön, witzig, eine Frau aus guter Familie. Sie hatte nur leider etwas Pech mit Männern, und das hat uns beide geprägt. Schon mit 17 Jahren hat sie meinen Bruder bekommen, ich kam später, da war sie Ende 20. Mein Vater war ein Frauenheld, und ich glaube, sie war oft unglücklich. Meine Mutter war insgesamt dreimal verheiratet.
„Meine Mutter hatte Angst davor, dass ich von Männern verführt wurde“
Aber sie hatte einen Sinn für Humor, war sehr klug und hat versucht, trotz ihrer unschönen Erfahrungen leicht zu bleiben. Sie ist auf Menschen zugegangen und hat gerne Gespräche geführt. Nach ihrer zweiten Scheidung hat sie in Worpswede eine Kunstgalerie aufgemacht. Moderne Kunst gleich nach dem Krieg, das war natürlich sensationell. Sie war eine gute Galeristin und war dafür bekannt. Bei uns in Worpswede wurde unheimlich viel getratscht, auch über Männer. Wenn ich als 15-Jährige danebenstand, hieß es: Pass bloß auf, dass der oder der dich nicht verführt. Anfangs wusste ich gar nicht, was die Frauen um mich herum damit meinten.
Sie hat mich immer vor Männern gewarnt. Als ich 17 Jahre alt war, hatte ich einen viel älteren Freund, meine erste große Liebe. Meine Mutter war gegen diese Verbindung, wahrscheinlich, weil sie selbst so früh Mutter geworden war. Sie hat mich dann als Au-Pair nach Schweden geschickt, damit der Mann sich nicht an mich heranmachen konnte. Das war für mich schlimm, brutal. Damals habe ich nicht verstehen können, warum sie das macht, ich war einfach nur traurig darüber, diese Liebe nicht leben zu dürfen. Ich habe heute noch seine Liebesbriefe.
Auch für meine Mutter war diese Entscheidung furchtbar, aber sie dachte, so rette ich mein Kind vor diesem Lüstling. Ich galt plötzlich ein verdorbenes Mädchen, das war verrückt und auch ein bisschen übertrieben. Meine Mutter hatte darunter gelitten, dass mein Vater so viele Affären hatte. Das wollte sie mir wahrscheinlich ersparen, aber man kann Menschen keine Erfahrungen ersparen. Als ich zwei Jahre später zurückkehrte, fing mein Leben als erwachsene Frau an. Ich habe den amerikanischen Fotografen Will McBride geheiratet, drei Kinder bekommen und mit 28 Jahren in Starnberg, später in München eine Galerie eröffnet. 1969 habe ich dann Wolfram Siebeck geheiratet, mit dem ich bis zu seinem Lebensende 2016 zusammengelebt habe.
„Meine Mutter war Mozart“
Mein Leben ist also anders verlaufen als das meiner Mutter, und doch ähneln sie sich in manchen Entscheidungen, so wie unsere Wesen auch. Unsere Nähe hat sich bis zu ihrem Tod gehalten, obwohl wir weit auseinanderwohnten. Das Schöne war, dass ich mit meiner Mutter so gut zusammen lachen konnte. Von ihr habe ich eine Art Leichtigkeit des Seins geerbt. Susan Sonntag hat mal gesagt: Eine gute Mutter ist so selten wie Mozart. Und da muss ich sagen, hatte ich Glück: meine war Mozart.