Brauchtum: Hupend unterwegs: Hochzeitskorsos zwischen Kultur und Risiko
Die ausgelassene Feier im Autokorso gehört für viele zur Hochzeit oder dem Fußballsieg dazu. Doch immer wieder muss die Polizei einschreiten. Was ist Tradition - und was nicht?

Die ausgelassene Feier im Autokorso gehört für viele zur Hochzeit oder dem Fußballsieg dazu. Doch immer wieder muss die Polizei einschreiten. Was ist Tradition – und was nicht?

Ob die Sache damals auf der Bundesstraße so geplant war oder einfach aus dem Ruder lief, das wissen wahrscheinlich auch die meisten Teilnehmer nicht. Die Sache, das ist der Hochzeitskorso, bei dem die Fahrer von rund 50 Autos im vergangenen Juni die B30 bei Ravensburg für eine Dreiviertelstunde komplett dicht machten. Bei der sie mit ihren Wagen immer wieder sogenannte Donuts drehten und schwarzen Gummiabrieb auf der Fahrbahn hinterließen, bevor sie die Braut zur Feier abholen wollten. 

Einer von mehreren Korsos, die im ablaufenden Jahr auf baden-württembergischen Straßen für Ärger sorgten. Und in diesem Ausmaß keineswegs ein Teil der türkischen Kultur ist, auch wenn sich ihre Wurzel vor längerer Zeit in den Dorfgemeinschaften des Bosporus finden lassen. 

Aus Pferden wurden Autos

„Es ist eine alte Tradition bei Hochzeiten“, sagt Caner Aver vom Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen. Heirateten Frauen Männer aus anderen Dörfern, sei die Braut mit einem größeren Korso und einst mit Pferden vom Haus des Vaters für die Hochzeit abgeholt worden. „Diese Tradition hat sich im Rahmen der Verstädterung fortgeführt“, erklärt der Integrationsforscher. „Nur, dass aus den Pferden Autos wurden.“

Für Aufsehen sorgen die Korsos vor allem dann, wenn die Polizei alarmiert wird. So war es vor Kurzem noch auf der Autobahn A5 zwischen Weil am Rhein und Efringen-Kirchen, wo rund ein Dutzend hochmotorisierte Autos riskant überholten und andere Wagen ausbremsten. 

Oder Mitte November nahe Sulz am Neckar: Nach einer Hochzeit blockierten dort 20 bis 30 Autos, einige mit Fahnen geschmückt, zwischen den Anschlussstellen Empfingen und Sulz den Verkehr, auch Schreckschusspistolen wurden genutzt. Im Engelbergtunnel soll es ähnlich gewesen sein, auf der B30 bei Ravensburg auch und in Heilbronn. 

Immer wieder bremsen Feiernde in den vergangenen Monaten den Verkehr aus, selbst auf Autobahnen feiern sie ausgelassen – und riskieren Menschenleben. Nicht selten nehmen bei Hochzeitskorsos 20 bis 30 Autos die Autobahn ein, indem sie langsam auf den beiden Fahrspuren und dem Standstreifen fahren. 

Eine landesweite Statistik führt das Innenministerium zwar nicht. Nach einer Statistik aus dem Jahr 2022 registrierte die Polizei aber allein zwischen Mai und Oktober des Jahres 46 Hochzeitskorsos im Südwesten. 

Experte: Autokorso sind Ritual 

„Autokorsos bei Hochzeiten sind Teil der türkischen Identitätskultur und ein Ritual“, sagte Aver. In muslimischen Kreisen würden Trauer, Glück und Freude anders als in Deutschland in größerer Runde geteilt. Ausgelebt werde dies aber nicht bei allen in gleichem Maß. „Bei Menschen, die eher liberal orientiert sind, die älter sind und ein wenig gediegener, kommt das eher seltener vor“, sagte Aver. 

Streng genommen sind Autokorsos zwar verboten, denn die Straßenverkehrsordnung untersagt „unnützes Hin- und Herfahren innerhalb geschlossener Ortschaften“. Das dauerhafte Hupen ist natürlich ebenso verboten wie das Mitfahren auf dem Autodach oder der Motorhaube oder Alkohol am Steuer. 

Feiernden drohen auch Strafanzeigen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB), Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB), Nötigung im Straßenverkehr (§ 240 StGB) und Verstoßes gegen das Waffengesetz. Explizit untersagt sind die Korsos – gleich ob zur Hochzeit oder zum Fußballspiel – im Bußgeldkatalog aber nicht. 

Polizei will kein Spaßverderber sein

Die Polizei geht zwar verhältnismäßig vor, sagt Gundram Lottmann, der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei. „Da will die Polizei kein Spielverderber sein.“ Wichtig sei aber, dass sich niemand gestört oder gefährdet werde. Auch müsse die Straßenverkehrsordnung eingehalten werden. 

Das sei nicht immer der Fall. Da werde vielmehr blockiert, Waffen spielten eine Rolle und Menschen säßen auf den Autodächern. „Solche Verhaltensweisen sind schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten und Straftaten“, sagte Lottmann. „Spätestens hier hört der Spaß auch auf.“

Den Beamten sind aber in den meisten Fällen trotz aller Appelle und Drohungen die Hände weitgehend gebunden. Wenn die Polizei informiert wird über Verstöße, ist das Treiben häufig schon wieder vorbei. Im Nachhinein ist es dann schwierig, die einzelnen Fahrzeuge mutmaßlichen Vergehen zuzuordnen und die Fahrer zu identifizieren. Deshalb wird auch bei größeren Korsos meist nur gegen wenige Teilnehmer ermittelt – wenn überhaupt. 

Zahl der Korsos geht eher zurück

Auch Integrationsforscher Aver betont, ein ausartender Korso, der andere gefährde, habe nichts mit kulturellen Traditionen zu tun. „Das sind Straftatbestände. Da geht es um Menschen, die übers Ziel hinausschießen, die wahrscheinlich ihre Freude nicht kontrollieren können und entsprechend aus einer Freude heraus die Sicherheit riskieren“, sagte er. 

Allerdings geht die Zahl der Korsos nach seinem Empfinden zurück: „Die Hochzeiten werden kleiner als in den vergangenen Jahrzehnten, als man teilweise noch mit 1000 Menschen gefeiert hat. Und mit dem sozialen Aufstieg und der zunehmenden Anpassung nimmt die Zahl der Hochzeitsgäste ab. Geben werde es Hochzeitskorsos aber immer und vor allem in den konservativen Milieus.