Kolumne: Marinić: Wir brauchen mehr Normalpopulisten!
Unsere Kolumnistin hat ein neues Rezept gegen die Ultrapopulisten von AfD und BSW: Werdet Normalpopulisten! Die Elitenbeschimpfung ist eine politische Notwendigkeit.

Unsere Kolumnistin hat ein neues Rezept gegen die Ultrapopulisten von AfD und BSW: Werdet Normalpopulisten! Die Elitenbeschimpfung ist eine politische Notwendigkeit.

Die! Da! Oben! Gegen „die da oben“ zu schimpfen, sei zu einfach, heißt es immer. Die Beschimpfung politischer Eliten ist eine schwierige Übung geworden. Natürlich gab es Dauerkritik an der Ampel, aber die seriösen Kritiker bleiben letztlich fair, sonst könnten sie noch persönlich für die oft befürchtete Spaltung der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden.

Doch was, wenn die extremen Parteien derzeit so erfolgreich sind, gerade weil die Kritik nicht hart genug trifft? Das ist meine populistische Behauptung, während ich meinen Kolumnenkaffee schlürfe. Ich fürchte, es braucht neben den Ultrapopulisten ein paar demokratieliebende Normalpopulisten, sonst überlässt man den Unmut der Frau mit dem Pelzkragen-Mantel, Sahra Wagenknecht, und den blond-blauen Rechtsaußen.

Immer mehr Bundesbürger gehen dem Populismus der Ränder auf den Leim. Trollfabriken aus Russland seien schuld, lautet eine beliebte Erklärung. Meine Prognose? Wenn der Wahlkampf so weitergeht, werden die Ränder die großen Sieger sein, mit oder ohne Trollfabrik.

Normalpopulisten lieben die Demokratie

Ich möchte für eine anständige Elitenbeschimpfung werben während des Wahlkampfs! Wir dürfen die Drecksgeschäfte nicht den Rändern überlassen! Je deutlicher die da oben konstruktiv kritisiert werden, desto weniger Ultrapopulisten braucht das Land. Normalpopulisten rufen in den öffentlichen Raum und erinnern mit Pathos an den Leitsatz „Wir sind das Volk!“ – damit die anderen es nicht tun. Auf keinen Fall beklatschen Normalpopulisten die Mächtigen für ihre Bauchpinselshows. Wie zuletzt geschehen, als die drei Herren Kanzlerkandidaten sich bei Joko und Klaas zur besten TV-Sendezeit für Politik und Anstand aussprachen. Im Netz wurde das Ganze tatsächlich beklatscht: Wie toll, Joko und Klaas, wie toll, Merz, Habeck und Scholz! Alle toll, toll, toll! Und AfD und BSW halten munter ihre Umfragewerte. Toll!

Konnten die Herren den Anstand nicht hinter der Kamera vereinbaren und vor der Kamera mit Anstand die Probleme der Bürger zum Thema machen? Vor einigen Jahren saßen zur gleichen Sendezeit Seenotretter auf der Bühne und redeten über das Leben und Sterben an den Grenzen Europas. Sollten so was nicht unsere Politiker tun? Das Leid der Menschen in den Mittelpunkt stellen, für die sie Verantwortung übernehmen wollen?

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Während die drei Herren sich gegenseitig Anstand zusicherten, gingen in Berlin wenige Tage später mehr als 70 zivilgesellschaftliche Organisationen auf die Straße – unter dem Hashtag #unkürzbar. Eine Großdemo für jene, die auffangen, was der Staat längst nicht mehr auffängt. Krankgeschriebene und ihre Ärzte werden gegängelt, Bürgergeldempfänger sowieso, aber hey, wir haben das Versprechen von Anstand, bevor die drei aushandeln, ob es zur Groko oder zu Schwarz-Grün kommt!

Scholz und Habeck geben jetzt Kandidaten-Interviews, als hätte das Ampeldesaster nichts mit ihnen zu tun. Die normalpopulistische Elitenbeschimpferin fragt da: Warum sollten Bürger das Versprechen einer Politik des Zuhörens ernst nehmen, wenn in den vergangenen Jahren, egal, ob grüner Küchentisch oder rote Respekt-SPD, das Zuhören eher dekorativer Natur war?

Friedrich Merz und die CDU kümmern sich vor und nach der Wahl um ihre Klientel. Rot und Grün hingegen werden auch nach dieser Wahl ihre Wähler links liegen lassen, um regieren zu dürfen. Wie wäre es stattdessen mit Oppositionsarbeit im Sinne der eigenen Werte? Wer die Ränder schwächen will, muss den Wettkampf wieder in die Mitte tragen, statt um jeden Preis zu regieren.