Außenministerin in Syrien: Annalena Baerbock trifft neue Machthaber in Damaskus
Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollege reisen als erste EU-Außenminister nach Syrien. Im Gepäck: Angebote und klare Erwartungen an die neuen Machthaber.

Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollege reisen als erste EU-Außenminister nach Syrien. Im Gepäck: Angebote und klare Erwartungen an die neuen Machthaber.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr französischer Kollege Jean-Noël Barrot besuchen die neue syrische Führung in Damaskus. Das Außenministerium in Paris teilte am Freitagmorgen mit,  Barrot sei bereits in der syrischen Hauptstadt eingetroffen. Baerbocks Ankunft wird im Laufe des Tages erwartet. Die beiden wollen demnach unter anderem Ahmad al-Scharaa treffen. Unter der Führung von dessen islamistischer Miliz Hajat Tahrir al-Schams (HTS) war am 8. Dezember die Herrschaft des langjährigen syrischen Machthabers Baschar al-Assad beendet worden.

Baerbock stellt den neuen De-facto-Herrschern in Syrien Bedingungen für eine Neuaufnahme der Beziehungen zu Deutschland und der Europäischen Union. „Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich“, erklärte die Grünen-Politikerin zu dem unangekündigten Besuch in Damaskus. Sie komme mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot und im Namen der EU „mit dieser ausgestreckten Hand, aber auch mit klaren Erwartungen an die neuen Machthaber“ in die syrische Hauptstadt.

Rund vier Wochen nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Baschar al-Assad wollen Baerbock und Barrot im Auftrag der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas Gespräche mit Vertretern der von Rebellen gebildeten Übergangsregierung führen. De-facto-Herrscher Ahmed al-Scharaa ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) und war zuvor bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani.

Die Außenministerin war am Morgen von Zypern aus nach Damaskus geflogen. Barrot hatte mit Verteidigungsminister Sébastien Lecornu im nicht weit entfernten Libanon mit den dort stationierten französischen Soldaten der UN-Beobachtermission Unifil den Jahreswechsel gefeiert. Baerbock und Barrot sind die ersten EU-Außenminister und die ersten Außenminister großer westlicher Mächte, die von der neuen syrischen Führung empfangen werden. Das deutsch-französische Duo absolviert seinen Besuch „im Namen der EU“, wie Baerbock in einer Erklärung mitteilte, die das Auswärtige Amt in Berlin anlässlich ihrer Abreise nach Damaskus veröffentlichte.

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Baerbock fordert Schutz von Frauen und Minderheiten

„Den Neuanfang kann es nur geben, wenn die neue syrische Gesellschaft allen Syrerinnen und Syrern, Frauen wie Männern, gleich welcher ethnischen oder religiösen Gruppe, einen Platz im politischen Prozess einräumt, Rechte gewährt und Schutz bietet“, verlangte Baerbock. Diese Rechte müssten gewahrt werden und dürften „nicht möglicherweise durch zu lange Fristen bis zu Wahlen oder auch Schritte zur Islamisierung des Justiz- oder Bildungssystems unterlaufen werden“.

Al-Scharaa hatte kürzlich gesagt, bis zur Vorlage eines neuen Verfassungs-Entwurfs könnten rund drei Jahre und bis zu Wahlen ein weiteres Jahr vergehen. Das arabische Land ist nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg zersplittert und konfessionell gespalten. Auch nach dem Sturz Assads kämpfen verfeindete Milizen um die Macht.

Baerbock sagte, man wolle Syrien bei einem friedlichen Machtübergang, der Versöhnung der Gesellschaft und beim Wiederaufbau unterstützen – zusätzlich zur humanitären Hilfe, die für die Menschen in Syrien auch in den vergangenen Jahren geleistet worden sei.

Einen Neuanfang könne es nur geben, wenn die Vergangenheit aufgearbeitet und Gerechtigkeit hergestellt werde sowie Racheakte an Bevölkerungsgruppen ausblieben, forderte Baerbock. Extremismus und radikale Gruppen dürften keinen Platz haben.

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Skepsis wegen Vergangenheit der Rebellen

„Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat“, sagte Baerbock. Man sehe aber auch den Wunsch nach Mäßigung und Verständigung mit anderen wichtigen Akteuren. So sei die Aufnahme von Gesprächen mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) ein wichtiges Zeichen in diese Richtung.

HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt. Bis heute gibt es aber Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida hält.

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Baerbock: Werden HTS an ihren Taten messen

Angesichts dessen sagte Baerbock: „Wir werden die HTS weiter an ihren Taten messen. Bei aller Skepsis dürfen wir jetzt nicht die Chance verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen Scheideweg zu unterstützen.“

Deutschland setze sich zudem dafür ein, dass der innersyrische Prozess nicht von außen gestört werde, erklärte die Bundesaußenministerin. Dazu gehöre auch die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität durch alle Nachbarstaaten, ergänzte sie offensichtlich mit Blick auf die Türkei und Israel, denen vorgehalten wird, eigene Interessen in Syrien zu verfolgen. Es sei zudem Zeit für Russland, seine Militärbasen in Syrien zu verlassen. Moskau war jahrelang einer der wichtigsten Verbündeten Assads.

Syrien ist nach bald 14 Jahren Bürgerkrieg in weiten Teilen zerstört und durch Landminen und andere Kampfmittel verseucht. Dem Land fehlen Arbeits- und Fachkräfte, die Wirtschaft schrumpft und die Währung hat seit 2020 mehr als 90 Prozent ihres Werts verloren. Die Versorgung mit öffentlichen Diensten ist zusammengebrochen. Mehr als 16 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

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Knapp eine Million syrische Flüchtlinge in Deutschland

Bei Baerbocks Gesprächen in Damaskus dürfte es auch um die von der Übergangsregierung befürwortete Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland gehen. Derzeit leben laut Bundesinnenministerium rund 975.000 Syrer in Deutschland. Die meisten kamen seit 2015 infolge des Bürgerkriegs ins Land.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es auf, Baerbock sei mit Barrot in Damaskus eingetroffen. Dies war von der Nachrichtenagentur AFP zunächst gemeldet und später korrigiert worden. Die Bundesaußenministerin wird erst später am Freitag in der syrischen Hauptstadt erwartet. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.