Allianz-Chef plädiert für Abschaffung der Lohnzahlung am ersten Krankheitstag
Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte, hat angesichts des hohen Krankenstands in Deutschland vorgeschlagen, den sogenannten Karenztag bei Krankmeldungen wieder einzuführen. "Damit würden die Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen", sagte Bäte dem "Handelsblatt" vom Montag. Der DGB nannte den Vorschlag "zutiefst ungerecht".

Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte, hat angesichts des hohen Krankenstands in Deutschland vorgeschlagen, den sogenannten Karenztag bei Krankmeldungen wieder einzuführen. „Damit würden die Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen“, sagte Bäte dem „Handelsblatt“ vom Montag. Der DGB nannte den Vorschlag „zutiefst ungerecht“.

Bäte sagte der Zeitung, Arbeitnehmer in Deutschland seien im Schnitt 20 Tage pro Jahr krank, während der EU-Schnitt bei acht Krankheitstagen liege. „Deutschland ist mittlerweile Weltmeister bei den Krankmeldungen. Das erhöht die Kosten im System.“

Arbeitgeber in Deutschland zahlten pro Jahr 77 Milliarden Euro Gehälter für kranke Beschäftigte. Von den Krankenkassen kämen weitere 19 Milliarden Euro. Das entspreche rund sechs Prozent der gesamten Sozialausgaben; EU-weit liege der Durchschnitt bei etwa 3,5 Prozent.

Dieser Karenztag war in den 70er Jahren abgeschafft worden. Für die Wiedereinführung von Karenztagen wie in anderen Ländern hatte sich kürzlich auch die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, ausgesprochen. Bäte nannte als Beispiele Schweden, Spanien oder Griechenland.

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel widersprach mit scharfen Worten: „Niemand braucht aktuell Vorschläge, die noch mehr Beschäftigte dazu bringen, krank zu arbeiten.“ Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sei ein soziales Schutzrecht, das ab dem ersten Krankheitstag gilt. „Nur so ist gewährleistet, dass kranke und erholungsbedürftige Beschäftigte tatsächlich gesund werden können.“ 

Immer mehr Menschen würden trotz Krankheit arbeiten, erklärte Piel. Präsentismus, also krank bei der Arbeit zu erscheinen, sei branchenübergreifend weit verbreitet. Dies schade nicht nur der eigenen Gesundheit, sondern führe auch zur Ansteckung von Kolleginnen und Kollegen. Die wirtschaftlichen Folgekosten seien etwa doppelt so hoch wie die Kosten krankheitsbedingter Fehlzeiten.

Piel verwies zudem auf Statistiken der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wonach der Krankenstand in Deutschland kein Rekordniveau erreicht hat. Demnach sind die von den Krankenkassen gemeldeten Höchstwerte vor allem eine Folge der besseren Erfassung von Krankheitstagen und somit ein rein statistischer Effekt.

Die OECD basiert ihre Statistiken nicht auf Meldungen bei den Krankenkassen, sondern jährliche Befragungen. Ihre Daten widersprechen auch der These, Deutschland liege im europäischen Vergleich beim Krankenstand an der Spitze. In Frankreich etwa ist er demnach noch etwas höher, in Belgien und Schweden auf dem gleichen Niveau, in Österreich und den Niederlanden niedriger.

IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban nannte es „unverschämt und fatal“, den Beschäftigten Krankmacherei zu unterstellen. Die deutsche Wirtschaft gesunde nicht mit kranken Beschäftigten, sondern mit besseren Arbeitsbedingungen. 

Unionsfraktions-Vize Sepp Müller (CDU) dagegen sagte dem Onlineportal Politico, Deutschlands Sozialsysteme würden „immer weiter beansprucht“. Aus diesem Grund „sollten wir uns meiner Meinung nach nicht vor neuen Ideen verschließen und diese diskutieren“. Auch wenn das Thema der Karenztage sich nicht im Wahlprogramm der CDU finde, „könnte dies ein altbewährter Ansatz sein“. 

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), zeigte sich dagegen skeptisch. „Nur die allerwenigsten Menschen melden sich aus Spaß krank“, sagte er zu Politico. Er forderte „schnell verlässliche Daten – zum Beispiel über die Gründe des erhöhten Krankenstandes und auch von kurzen Krankmeldungen“. 

Allianz-Manager Bäte sprach sich zudem dafür aus, Gesundheitsleistungen zu kürzen. „Wir müssen darüber sprechen, was wir uns in einer alternden Gesellschaft noch leisten können.“ Allein die gesetzlichen Krankenkassen hätten im vergangenen Jahr 289 Milliarden Euro ausgegeben, die Beiträge stiegen Jahr für Jahr weiter. „Gleichzeitig steht Deutschland bei der Zahl der Arztbesuche auf Platz 7. Das ist doch irre“, sagte er der Zeitung.