Elon Musks Kampagnen für Rechtsextreme stehen am Ende einer langen Entwicklung. Wie sich der Milliardär von einem Star-Unternehmer zu einem Anhänger von Verschwörungstheorien entwickelt hat
Vielleicht war der Juli 2018 der Moment, in dem es begann. In dem aus Elon Musk, dem exzentrischen, aber auch genialen Unternehmer, ein Mann der bizarren Äußerungen, Verschwörungstheorien und Weltbeherrschungsphantasien wurde. Ein Mann, der weltweit Rechtsextremisten unterstützt, antisemitische Inhalte teilt und gegen das Online-Lexikon Wikipedia zu Felde zieht, weil darin Ansichten wiedergegeben werden, die ihm falsch erscheinen.
Der Anlass war ein merkwürdiger, weit entfernt von der Lebenswelt des Tesla-Chefs: Im thailändischen Tham Luang war eine Gruppe jugendlicher Fußballer in einer Höhle von Wassermassen eingeschlossen worden. Die Rettungsarbeiten liefen, auch der britische Taucher Vernon Unsworth war daran beteiligt.
Das Geschehen erregte international große Aufmerksamkeit – und damit auch die von Musk: Er bot an, ein Mini-U-Boot bereitzustellen, um die jungen Sportler aus der Höhle zu holen. Als der Taucher Unsworth dies als PR-Gag zurückwies, überschüttete Musk ihn auf Twitter mit üblen Vorwürfen: Er sei ein Pädophiler, ein „Kindervergewaltiger“ gar, so der Unternehmer – alles ohne jegliche Belege. Nach einem ersten Aufruhr entschuldigte Musk sich, um dann noch einmal nachzulegen. Der Tesla-Chef, schon damals einer der reichsten Menschen der Erde, hatte sich in den Kaninchenbau begeben, wie man im Englischen über Leute sagt, die sich in einer wirren Idee verlieren. Er wurde zu einem Internet-Troll.
Falsche Covid-Prognosen
Tatsächlich mehrten sich in den kommenden Jahren die grotesken Äußerungen, immer vorgetragen im Ton des einzigen Erleuchteten. In der Frühphase der Covid-Pandemie bezeichnete Musk die einsetzende Panik als „dumm“. Die Zahl der Fälle werde, so der Unternehmer, bis April 2020 auf „Null“ sinken, eine Vorhersage, die sich als absurde Fehleinschätzung erwies. Das aber hielt Musk nicht davon ab, immer wieder zur Covid-Politik Stellung zu beziehen, Impfungen infrage zu stellen, Zahlen anzuzweifeln und Sicherheitsmaßnahmen abzulehnen.
Zum Teil ging es um Einschränkungen in den eigenen Werken, oft aber auch einfach darum, den Experten zu widersprechen. Es war eine bemerkenswerte Wandlung: Musk, der wie viele im Silicon Valley immer der Wissenschaft und der Orientierung an Fakten das Wort geredet hatte, mutierte zu einem Thesen-Clown, der sich seine eigene Wahrheit zusammengoogelt.
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Es war ein Muster, das sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 fortsetzte – und in gewisser Hinsicht verstärkte. Zu Beginn des Überfalls unterstützte Musk die Ukraine und versorgte das Land mit Terminals für sein Satelliten-Netzwerk Starlink – womit eine stabile Internet-Abdeckung aufrechterhalten werden konnte. Dann aber begab sich der Milliardär – ohne erkennbare Vorkenntnisse – auf einen Ausflug in die Geopolitik. Auf Twitter veröffentlichte er vier Forderungen, mit denen sich der Krieg aus seiner Sicht schnell beenden ließe, darunter auch die endgültige Aufgabe der Krim durch die Ukraine.
Geschäker mit dem Kreml und Twitter-Kauf
Auffällig waren nicht so sehr die Ideen selbst, die auch von anderer Seite zu hören waren – sondern der Umstand, dass Musk offenbar überzeugt war, in dieser weltpolitisch heiklen Frage das Wort ergreifen zu können – inklusive einer Umfrage für seine Follower. Der Tesla-Chef lieferte sich sogar einen launigen Schlagabtausch auf Twitter mit dem russischen Ex-Präsidenten Dimitri Medwedew, dem lautesten Kettenhund des Kremls, ganz so, als sei Russlands Krieg gegen die Ukraine ein kleiner Social-Media-Fight, der sich mit ein paar Posts abhandeln lässt.
Diese Mischung aus Größenwahn und Hang zu alternativen Fakten musste Musk, der lange die Demokraten unterstützt hatte, irgendwann auf einen gemeinsamen Weg mit Donald Trump führen – und dafür holte er sich 2022 seine eigene Plattform. Es war das Jahr, in dem Musk den Kurznachrichtendienst Twitter erwarb, also aus seinem Lieblings-Medium sein Eigentum machte. Er tat das für einen Preis von 44 Mrd. Dollar, der sich nach Ansicht von Analysten betriebswirtschaftlich niemals rechnen wird. Auch vier weitere Jahre Trump dürften daran wenig ändern. Womöglich ging es von Anfang nie ums Geld, sondern um den Wunsch, eine Plattform an sich zu bringen, die zumindest unter Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten eine gewisse Breitenwirkung hat – also unter Multiplikatoren.
X wurde Elon Musks Megafon
Musk begann das Medium in seinem Sinne umzubauen. Er kappte alle Kontrollinstanzen, ließ die Algorithmen umschreiben, benannte das Netzwerk um und gab ihm das gesichtslose X als Namen. Vor allem aber sorgte er Schritt für Schritt dafür, dass seine eigenen Beiträge und Retweets möglichst prominent verbreitet wurden. X wurde zu Musks Megafon. Und er nutzte dessen Möglichkeiten für immer aberwitzigere Inhalte. Die Journalisten Kate Conger Ryan Mac haben die Übernahme von Twitter minutiös nachgezeichnet und sie zeigen auf, wie aus einem Business-Projekt eine persönliche Obsession Musks wurde.
Musk verbreitete haltlose Vorwürfe, wonach ein Amoklauf in Texas von der Regierung inszeniert worden sei. Er unterstützte die Behauptung, der Sohn des Basketballspielers LeBron James habe aufgrund einer Covid-Impfung einen Herzinfarkt erlitten. Er forderte Meta-Chef Mark Zuckerberg zu einem Käfig-Kampf heraus und zog dann zurück. Er erklärte den Tesla-Cybertrucker ohne jede Grundlage für kugelsicher. Er gab der Verschwörungstheorie neue Nahrung, wonach im Keller einer Washingtoner Pizzeria ein Kinderpornoring aktiv war, der Verbindungen zu Hillary Clinton hatte. Und er bestätigte und verbreitete offen antisemitische Beiträge obskurer X-Nutzer.
Internetsüchtig? Mehr als 100 Tweets am Tag
Das alles innerhalb weniger Monate und mit immer rascherer Frequenz, mit manchmal 60, später auch mehr als 100 Beiträgen am Tag. Musk, der eigentlich mehrere Konzerne in seiner Verantwortung hat, schien sich fast nur noch in seinem Medium herumzutreiben. „Er berauschte sich an den Rückmeldungen, die er bekam, und wie bei so vielen anderen Hardcore-Tweetern wurde die Plattform zu seiner Sucht“, schreiben Conger und Mac. „Der Unterschied zwischen ihm und den anderen Ultras, die dem ständigen Dopaminrausch von Twitter hinterherjagen, bestand jedoch darin, dass er über die Mittel verfügte, seine Sucht einzufangen, und den Wunsch hatte, sie nach seinem eigenen Bild umzugestalten.“
Das Prinzip ist dabei oft ein indirektes: Nur selten ist Musk der Ursprung einer Behauptung, eines Vorwurfs oder einer These, obwohl auch das vorkommt. Wie ein gewöhnlicher Internetsüchtiger sucht, findet und verbreitet er stattdessen die fragwürdigen Beiträge anderer, und zwar völlig unabhängig davon, ob es sich dabei um Prominente handelt oder wenig bekannte X-Nutzer, deren echter Name nicht ersichtlich ist.
Wer den Weg von Musk in den sozialen Netzwerken bis dahin mitverfolgt hatte, den konnte seine Wandlung im Wahlkampf des Jahres 2024 und danach nicht mehr wirklich überraschen. Angesichts der Vorgeschichte war es folgerichtig, dass Musk sich nach anfänglichem Zögern auf die Seite Trumps schlug, die wildesten Gerüchte über die Demokraten verbreitete und nun auch versucht, daraus politisches Kapital zu schlagen. Selbst sein Impuls, international rechtsextreme Parteien und demokratiefeindliche Bewegungen zu fördern, hat eine Vorgeschichte. Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte Musk begonnen, sich ungefragt in globale Debatten einzuschalten. Zuweilen wirkt der Unternehmer wie die Karikatur eines größenwahnsinnigen Milliardärs aus einem James-Bond-Film.
Die Metamorphose Musks hat 2024 ihre Vollendung gefunden. Der einstige Star-Manager, geniale Verkäufer und unternehmerische Tausendsassa hat eine neue Identität. Er ist zum reichsten Troll der Welt geworden.