Atemübungen reduzieren Stress und steigern gleichzeitig Gelassenheit sowie Leistungsfähigkeit. Das könnten vor allem Führungskräfte für sich nutzen, sagt Trainer Christoph Glaser
Capital: Herr Glaser, warum sollte die Atmung in der Arbeitswelt eine größere Rolle spielen?
CHRISTOPH GLASER: Weil der Atem das autonome Nervensystem direkt beeinflusst. Im beruflichen Kontext ist heutzutage häufig Schnelligkeit gefordert. Nur schnell sein ist per se noch keine Qualität. Ich muss gleichzeitig wohlüberlegt handeln und klare Entscheidungen treffen können. Durch Atemtechniken lässt sich eine gute Balance zwischen Schnelligkeit und innerer Ruhe erzielen. Und das ermöglicht die Agilität und Präsenz, die heute im Job häufig gefordert sind.
Welche Atmung wäre bei der Arbeit die richtige?
Das kommt darauf an. Wenn wir einatmen, dann gewinnen wir Energie. Und wenn wir ausatmen, entspannen wir. Und um leistungsstark zu sein, brauchen wir beides. Wer langsam, tief und gleichmäßig atmet, am besten in den Bauch, aktiviert den Parasympathikus, den sogenannten Entspannungsnerv. Das System fährt herunter und geht in den Regenerationsmodus. Eine aktivere Atmung regt der Sympathikus an, den Anspannungsnerv. Er macht bereit für Leistung.
Immer mehr Sportler kleben sich den Mund zu und üben, durch die Nase zu atmen. Macht die Nasenatmung einen Unterschied bei der Leistungsfähigkeit?
Es gibt tatsächlich Untersuchungen, die zeigen, dass wir bis zu 20 Prozent mehr Sauerstoff absorbieren können, wenn wir durch die Nase atmen. Von der Nase führen viele Nervenverbindungen direkt ins Gehirn. Wenn wir durch die Nase atmen, werden sie aktiviert. Das ist sehr wohltuend für die kognitiven Funktionen, entspannt das Gehirn und fördert die Leistungsfähigkeit.
Christoph Glaser ist Geschäftsführer des TLEX-Institutes und vermittelt Führungskräften und ihren Teams weltweit seine Methode zur gelassenen Leistungsoptimierung. Sein Buch „Atmen: Der Schlüssel zur erfolgreichen und gesunden Führung“ ist beim Campus Verlag erschienen
© Carmen Wong Fisch
Im Job sind Menschen ständig stressigen Situationen ausgesetzt. Kann bewusstes Atmen da helfen?
Manche äußeren Stressfaktoren können wir leider nicht abschalten, zum Beispiel das ständig klingelnde Diensthandy. Stress hat aber auch immer eine innere Dimension, und damit können wir umgehen lernen: Wenn ich mit dem Atem bewusst arbeite, kann ich ganz direkt meine Emotionen regulieren. Ein Zeichen von Stress auf mentaler Ebene ist oft, dass der Geist zwischen Zukunft und Vergangenheit hin und her pendelt. Die Gedanken wieder ins Jetzt zu bringen, ist wichtig, um mit äußeren Gegebenheiten erfolgreich umgehen zu können. Und dazu eignet sich der Atem ganz besonders.
Neulich hat mich eine Recherche um den Schlaf gebracht, dabei habe ich wirklich versucht, die Gedanken abzustellen. Hätte ich einfach mal durchatmen müssen?
Das hätte bestimmt geholfen. Der Schlüssel zu unserem Geist ist nicht Anstrengung, sondern Anstrengungslosigkeit. Indem ich die Aufmerksamkeit auf etwas lenke, was im Jetzt ist, wie den Atem, kommen rasende Gedanken langsam zur Ruhe. Dadurch erlebe ich Selbstwirksamkeit, das wiederum erhöht das Selbstvertrauen und das Gefühl, das eigene Leben beeinflussen zu können. Das macht stresstolerant.
Heute sprechen alle davon, wie wichtig das richtige Mindset für Erfolg ist. Halten Sie die Atmung für wichtiger?
Beides hängt zusammen. Die Art und Weise, wie Menschen auf ihr Leben blicken, beeinflusst sie manchmal stärker als ihre tatsächlichen Lebensumstände. Zum Beispiel nach einer langen Arbeitswoche, in der Pausen, Essen und Schlaf zu kurz kamen, ist man an einem energetischen Tiefpunkt. Das verändert das Mindset: Dann besteht die Gefahr, dass wir negativ auf die Lebenssituation schauen. Aber nach dreimal Ausschlafen und gutem Essen ist der Tank wieder voll. Die Lebenssituation scheint eingerenkt, obwohl sich im Außen nichts verändert hat. Wir sehen: Energiemanagement ist ganz entscheidend. Und weil der Atem unsere wichtigste Energiequelle im Leben ist, kann er das Mindset sofort beeinflussen.
Sie haben ein Buch darüber geschrieben, dass Atemübungen der Schlüssel zu erfolgreicher Führung sind. Wie hängt das zusammen?
Es gibt tausende Ansätze zum Thema Zeitmanagement. Aber egal ob CEO, mittlere Führungskraft oder Azubi, jeder Mensch hat nur 24 Stunden pro Tag. Zeit begrenzt die Aufgaben, die wir erledigen können. Energie ist dagegen unlimitiert. Ich glaube, statt zu optimieren, in welcher Zeit wir Dinge tun, sollten wir überlegen, mit welcher Energie wir sie tun. Es hilft niemandem, wenn ich mir viel Zeit für ein Mitarbeitergespräch nehme, aber gedanklich schon im nächsten Meeting sitze. Erfolgreiche Menschen haben vielleicht wenig Zeit, aber in dieser Zeit sind sie präsent – Atemübungen können helfen, diesen Fokus zu halten.
Hilft mir Atmung auch bei der Konzentration?
Klar, das ist ja auch eine Art von Präsenz. Untersuchungen zeigen, dass sich die Aufmerksamkeitsspanne von Menschen massiv reduziert hat. Beim Arbeiten am Bildschirm beträgt sie mittlerweile nur noch 44 Sekunden, gerade auch weil wir in der digitalen Arbeitswelt ständig so viele Impulse bekommen. Mit einer geeigneten Atemtechnik können wir besser bei der Sache bleiben. Es hilft aber auch dabei, kreativ zu sein, mit Stress umzugehen und Beziehungen aufzubauen. Der Atem ist also ein wichtiger Schlüssel zu allen Leistungen, die ich als Führungskraft abrufen möchte.
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In vielen Jobs gibt es kaum genügend Zeit für eine kleine Atempause. Gibt es trotzdem eine Übung, die sich auch in einem kurzen Zeitfenster anwenden lässt?
Klar, für einen kleinen Energieschub reichen schon zwei Minuten. Sie können sich so setzten, dass der Rücken frei ist, dann atmet es sich schon mal einfacher. Dann empfehle ich eine Hand auf den Bauch zu legen und die andere auf die Brust. Mit geschlossenen Augen fühlen wir dann einfach für eine Weile, wie der Fluss des Atems den Körper bewegt, ob sich die Brust hebt und senkt oder sich der Bauch mitbewegt. Diese Übung nennt sich Wellenatmung und beruhigt uns. Es gibt aber auch Übungen, die machen uns dynamischer.
Mitten in einem nervigen Meeting ist aber keine Zeit für eine Atemübung. Was mache ich da?
So eine Übung entfaltet leichter ihre Wirkung, wenn im Außen nicht so viel geschieht. Aber je öfter ich meine Atemübungen in einem ruhigen Umfeld trainiere, umso eher kann ich den Atem in stressigen Situationen einsetzen und neuste wissenschaftliche Untersuchen zeigen, dass diese helfen, das Selbstmanagement deutliche zu erhöhen.
Kann ich mir den nächsten Karrieresprung „eratmen“?
Es ist zumindest eine gute Idee, an sich selbst zu arbeiten. Kaum jemand schöpft das Potenzial aus, das in ihm oder ihr steckt. Um an weitere inneren Ressourcen heranzukommen, ist der Atem sicher nicht die einzige Lösung, aber eine sehr effektive.