Meinung: Der Fall Jalloh ist ein Lehrstück. Über die Polizei. Über Migration. Über Medien
Vor 20 Jahren starb Oury Jalloh in einer Polizeizelle. Nie ist ein Beweis dafür gefunden worden, dass er ermordet wurde – trotzdem wird die Mordtheorie noch verbreitet. Warum?

Vor 20 Jahren starb Oury Jalloh in einer Polizeizelle. Nie ist ein Beweis dafür gefunden worden, dass er ermordet wurde – trotzdem wird die Mordtheorie noch verbreitet. Warum?

Der Tod von Oury Jalloh ist ein Lehrstück: Über die Polizei. Über Migrationspolitik. Aber auch über Medien. Fest steht,  dass sich die Polizei in Dessau rechtswidrig verhalten hat. Und dass deshalb ein Mensch grausam zu Tode gekommen ist. Das ist nicht die Meinung irgendwelcher Aktivisten, das haben die mit dem Fall befassten Gerichte, die Generalstaatsanwaltschaft in Namburg und die beiden Sonderermittler – ein Anwalt und ein Ex-Generalstaatsanwalt – festgestellt. 

Die Polizisten auf dem Revier in Dessau hatten damals ihre eigenen Gesetze. Betrunkene wurden grundsätzlich mit auf die Wache genommen – als „Erziehungsmittel“. Die Polizisten nahmen Menschen Blut ab, fesselten sie, sperrten sie in Zellen, ohne das Amtsgericht auch nur anzurufen. Das Wort „Polizeiwillkür“ ist dafür noch harmlos. Auf dem Polizeirevier in Dessau wurden systematisch Grundrechte missachtet.

OuryJallohInterviewJerzyMontag 12.01

Ehemalige Volkspolizisten taten in Dessau Dienst

Viele der Polizisten und Polizistinnen, die damals in Dessau Dienst taten, stammten aus der DDR, waren also in einer Diktatur zu Polizisten ausgebildet worden. 15 Jahre nach der Wende kannten sie elementare Grundrechte immer noch nicht. Oder wollten sie nicht kennen. Das zeigt nicht nur, wie problematisch es war, Volkspolizisten in die bundesdeutsche Polizei zu übernehmen, sondern auch, wie wenig sich das Innenministerium offenbar um deren Ausbildung gekümmert hat. Interessant auch, dass die Polizeibeamten eine Anzeige gegen Oury Jalloh wegen Widerstands geschrieben haben. Es zeigt, wie es in Deutschland meistens läuft. So zynisch das klingen mag: Wäre Oury Jalloh nicht umgekommen, wäre das rechtswidrige Verhalten der Polizisten nie aufgeflogen. Er wäre wegen Widerstands verurteilt worden. 

Der Fall ist ein Lehrstück über Migrationspolitik. Oury Jalloh floh vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone, schlug sich nach Europa durch, hoffte auf ein besseres Leben. Das ist menschlich verständlich. Er konnte allerdings weder lesen noch schreiben, war in dieser Hochleistungsgesellschaft ohne Chance. Ohne Perspektive fing er an zu trinken, nahm Drogen. Wer Drogen nimmt, verkauft vielleicht irgendwann auch welche. So war es auch bei Oury Jalloh. Hätte er einen anderen Weg eingeschlagen, wenn er eine Perspektive gehabt hätte, durch Ausbildung und Job? Damit der Tag Struktur bekommt und das Leben einen Sinn. Spekulation, aber keine ganz unbegründete.

Dieses Problem ist geblieben. Die Integration vieler Flüchtlinge scheitert auch 20 Jahre später genau daran: Sie haben keine Perspektive, werden geduldet. Untergebracht in Massenunterkünften, ohne Aufgabe, laufen sie Gefahr, auf die schiefe Bahn zu geraten. Dass Menschen, die keine Perspektive haben, eher kriminell werden, ist in der Kriminologie eine Binse, so oft ist es untersucht worden, unter anderem von dem amerikanischen Kriminologen Travis Hirschi. 

OuryJalloh 20.40

„Keine Mauer des Schweigens“

Und schließlich ist der FallOury Jalloh auch ein Lehrstück über Medien. Dafür, dass Oury Jalloh ermordet worden ist, hat keine Staatsanwaltschaft, kein Gericht, kein Sonderermittler je einen Beweis gefunden. Viele Medien verbreiten die Mordtheorie trotzdem. 2013 stellte das Landgericht Magdeburg in seinem Urteil, das rechtskräftig geworden ist, fest: „Eine Brandlegung durch andere Personen schied zur Überzeugung der Kammer aus.“ In der Zelle sei „nicht einmal ein Hinweis auf Brandbeschleuniger“ gefunden worden. „Eine weitgezogene ,Mauer des Schweigens‘ hat die Kammer bei den Zeugen nicht festgestellt.“ 

Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, die den Fall auf Geheiß des Justizministeriums 2017 noch einmal überprüft und sogar ein neues Brandgutachten in Auftrag gegeben hat, schreibt: Das Feuer sei „durch Oury Jalloh selbst ohne Einsatz eines Brandbeschleunigers gelegt worden. Beweistatsachen für eine Fremdtötung oder gar für ein Mordkomplott sind nicht vorhanden. Es mangelt sowohl an einem Motiv als auch an der zeitlichen Gelegenheit dafür. Bei der These `Oury Jalloh, das war Mord‘ handelt es sich um eine rein spekulative Mutmaßung.“

„Behauptung ins Blaue hinein“

Und auch Sonderermittler und Menschenrechtsanwalt Jerzy Montag sagt:  „Der Mordvorwurf konnte weder durch Tatumstände noch durch Tatsachen erhärtet werden. Es ist eine reine Behauptung ins Blaue hinein. Das war sie von Anfang an, und das ist sie leider geblieben. Dafür, dass Oury Jalloh zusammengeschlagen und ermordet worden ist, gibt es keinen Beleg. Es gab in diesem  Fall viele Vorurteile. Die Leute haben versucht, Beweise dafür zu finden, ihre Vorurteile zu bestätigen. Das ist in keinem Punkt gelungen.“ 

Der Bericht, den er 2020 gemeinsam mit dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Noetzel vorgelegt hat, kann auch – wenn man die Fußnoten liest – als eine Medienschelte gelesen werden. Medien ließen Informanten zu Wort kommen, die behaupteten, Oury Jalloh sei vor seinem Tod von Polizisten zusammengeschlagen worden. Die Staatsanwaltschaft ist solchen Hinweisen nachgegangen. Die Behauptungen stellten sich allerdings als „völlig haltlos“ heraus. Die Informanten knickten bei der Staatsanwaltschaft ein, gaben zu, nur gehört zu haben, dass da was gewesen sein solle. Stille Post, also. Ein heißer Medien-Informant war ein psychisch angeschlagener Alkoholiker, dessen Angaben sich als völlig aus der Luft gegriffen erwiesen. Als „Zeugen“ dienten den Medien also bisweilen Wichtigtuer, die in Wirklichkeit nichts wussten, ja nicht einmal nahe dran gewesen waren. 

PAID CRIME 56 Organisierte Kriminalität

Die Polizei hat Oury Jalloh auf dem Gewissen

Es sei nicht richtig ermittelt worden, ist auch so ein Narrativ, das verbreitet wird. „Die Strafverfolgungsbehörden haben umfassend ermittelt“, stellte das Bundesverfassungsgericht 2023 klar. Die Justiz hat – wenn auch mit Pannen und Verspätungen – ihren Job gemacht. Der Rechtsstaat hat funktioniert. Das klingt langweiliger, verkauft und klickt weniger als die Theorie vom vertuschten Mord durch Polizisten. Dabei ist die nüchterne Wahrheit schrecklich genug: Die Polizei ist für den Tod von Oury Jalloh verantwortlich. Er hätte niemals gefesselt in der Zelle liegen dürfen. Auch wenn Oury Jalloh nicht ermordet wurde; Polizisten haben sein Leben auf dem Gewissen. Ihre Fehler waren tödlich. Und das ist unverzeihlich.