Daddy Issues: Warum ich nicht länger der faule Mann am Esstisch sein will
In "Daddy Issues" schreibt Sebastian Tigges im stern über Vaterschaft und Care-Arbeit. Heute rechnet er mit faulen Männern an den Feiertagen ab.

In „Daddy Issues“ schreibt Sebastian Tigges im stern über Vaterschaft und Care-Arbeit. Heute rechnet er mit faulen Männern an den Feiertagen ab.

Die Feiertage sind vorbei. Die ersten Tannen liegen traurig verdorrt auf noch von Böller-Ruß beschmutzten Gehsteigen. Es wurde auch wieder fleißig geschlemmt: Pastete, Pudding, Plätzchen. Was bleibt, ist ein fader Nachgeschmack.

Er klebt pelzig auf der Zunge, lässt sich nicht bestimmen. Er rührt nicht etwa von der verkohlten Haut der armen Gans oder der Wein-Schoko-Bratensoße, die etwas zu bitter schmeckte, weil bei der Zubereitung der Rotwein in die Kehle statt in den Topf gekippt wurde.

Nein, sein Ursprung ist gänzlich anderer Natur. Der Geschmack ist so impertinent, so omnipräsent, so lange schon zu schmecken, dass wir ihn kaum noch wahrnehmen. Und doch kann er an diesen Festtagen noch deutlicher werden, wenn sich mehrere Generationen über einige Tage hinweg zusammenfinden.

Es ist der Geschmack, der bleibt, wenn der Nachtisch verspeist ist. Der Tisch, überwuchert von verschmutztem Geschirr, danach schreit, abgeräumt zu werden. Und er wird abgeräumt. Von Frauen. Während die Männer sitzen, trinken und sich unterhalten. 

Die ewige Choreografie der Feiertage

Ich habe Weihnachten und Silvester 2024 größtenteils in der Küche verbracht. Nur am Rande habe ich mitbekommen, wie meine Kinder ihre Geschenke auspacken. Kein richtiges Gespräch habe ich geführt. Und das ist in Ordnung. Lassen wir die romantisch-verklärten Idealvorstellungen von Weihnachten einmal hinter uns, sehen wir die Realität der Festtage klarer.

Wenn Menschen zusammenkommen und diese Menschen gemeinsam etwas essen und trinken, dann ist das eine Menge Arbeit. Auch in 2024 blieb diese Arbeit immer noch weit überwiegend an den weiblichen Teilnehmern dieser familiären Zusammenkünfte kleben.

Ich habe es dieses Jahr wieder erlebt: Männer, die herrlich unbeeindruckt in ihren Stühlen sitzen bleiben, während um sie herum und vor ihrer Nase der Tisch abgeräumt, das Geschirr gespült, der Nachtisch kredenzt wird. Und das, nachdem sie auch schon auf diesen Stühlen gesessen hatten, als das alles vor- und zubereitet wurde, was eben noch auf ihren Tellern lag. PAID Sebastian Tigges zur Elternzeit von Christian Lindner 18.02

Von Ausreden und Erkenntnissen

Und nein: Das ist nichts Neues. Und nein: Es wird auch nicht dadurch relevanter, dass ich es als Mann ausspreche. Aber: Ich habe die Lösung! Jawohl, Sie haben richtig gehört, ich habe die Lösung für dieses Problem: Männer, macht Care-Arbeit!

Ich blieb selbst die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens am Tisch sitzen. Weil ich noch ganz dringend dieses oder jenes angeregte und vertiefte Gespräch über Wirtschaft, Politik oder Ähnliches zu Ende bringen wollte, bevor ich mich so etwas wie Aufräumen der Küche widmen konnte.

Natürlich schämte ich mich für diese offenkundige Unhöflichkeit – nein, Ungerechtigkeit! Meine Scham versuchte ich erfolglos zu überspielen mit dem guten alten Freund Sarkasmus: „Oh, bin ich etwa zu spät, um noch die Töpfe zu spülen – ah, so ein Mist, das tut mir ja so leid!“

Es ist keine Heldengeschichte, die ich erzähle. Ich bin nicht wie ein Phönix aus der Asche hervorgegangen und habe von einem Tag auf den anderen Verantwortung übernommen für dreckiges Geschirr und die Einkaufsliste und die Einkäufe und die Gedanken über die zuzubereitenden Gerichte und die vollen Gläser der Anwesenden und die überkochende Rotwein-Soße und die zusätzlich zu kochenden kindgerechten Speisen.

Über Sebastian Tigges

Der Weg zu besserem Miteinander

Seitdem ich Vater bin, sehe ich diese Themen mit anderen Augen. That’s it. Meine Partnerin und ich leben Equal Care. Durch das Übernehmen von Verantwortung, das Leisten von Care-Arbeit, fällt es mir deutlich schwerer, völlig unbeteiligt am Tisch zu verharren.

Weil ich die Arbeit nicht ausblenden kann. Weil ich weiß, wie viel Arbeit es ist. Weil ich weiß, wie es ist, mit der Arbeit allein zu sein. Das kann man bedauern oder kritisieren: Wieso musste ich erst Vater werden, um nicht mehr unhöflich und ungerecht zu sein!? Ja, stimmt, ist nicht so dolle. Ich sag ja: keine Heldengeschichte. Aber immerhin, oder? 

Also Männer, schmeißt den Knigge zusammen mit der Tanne auf den Gehweg! Den braucht ihr nicht, um Manieren zu studieren. Alles, was ihr tun müsst: Kümmert euch um Kinder, Haushalt und Co. Care-Arbeit macht euch zu einem besseren Gast. Et voilà! Aber nicht nur das. Care-Arbeit macht euch zu einem besseren Mann. Zu einem besseren Menschen.

Es ist ja noch nicht zu spät für Neujahrsvorsätze. Wie wäre es mal mit was anderem? Statt: weniger Bauch, weniger Rauchen, weniger Bierchen versuchen wir es mit: mehr aktive Vaterschaft, mehr gleichberechtigte Partnerschaft, mehr Verantwortung bei Care-Arbeit, Mental Load und Co.

Dann klappt es auch mit dem besinnlichen Weihnachten in 2025. Vielleicht nicht ohne Nachgeschmack. Aber der hat dann bestenfalls rein kulinarische Ursachen.

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