Kein Geld, hieß es oft in den vergangenen Monaten. Doch im Wahlkampf entdeckt selbst Merz das Füllhorn. Der Capital-Chefredakteur Timo Pache fragt sich, wo das Geld herkommt.
Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr gestartet und hatten einige schöne und entspannte Feiertage – mit möglichst wenig anstrengenden Diskussionen. Wenn man über den Tellerrand von Gänsekeule, Kloß und Rotkohl hinausblickt, wird ja leider vieles in diesen Tagen schnell anstrengend.
Wahrscheinlich liegt es an meinem Beruf, aber bei uns klappt das mit der Abstinenz von politischen oder wirtschaftlichen Themen über Weihnachten immer nur so mittelgut. Denn nur zu gerne nutzen Onkels und Tanten die Gelegenheit, um dem Besuch aus der Hauptstadt mal kritisch auf den Zahn zu fühlen: Was sich denn wirklich so tue hinter den Berliner Kulissen, lautet so eine typische Einstiegsfrage; oder was der Lindner wohl im Schilde führe; wie das jetzt werde mit dem Trump in Washington; und ob es wirklich so schlimm stehe um die deutschen Autobauer. Wie gesagt, alles keine leichte Kost.
Erst im Nachhinein ist mir aufgefallen, was interessanterweise überhaupt kein Thema war über die Festtage. Die Mütterrente zum Beispiel, die die CSU im Falle eines Wahlsiegs nun bald erhöhen möchte. Oder die Pendlerpauschale, die die CDU – neben vielem anderen – demnächst aufstocken will. Auch nicht das kostenlose Mittagessen in Kitas und Schulen, das der Noch-Kanzler nun allen Kindern spendieren möchte. Auch nicht das deutlich höhere Elterngeld, das die Grünen plötzlich versprechen. Also all die Dinge, mit denen uns die wahlkämpfenden Spitzenkandidaten künftig so beglücken wollen. Nicht einmal fiel das Wort Steuerentlastung.
Teure Ausgabenpläne
Man wundert sich ja auch ein wenig, woher die Parteien und ihre Kandidaten plötzlich all das viele Geld hernehmen wollen, das sie für die Finanzierung ihrer Steuerentlastungen und sonstigen Wohltaten bräuchten. Andererseits: Vorschläge zur Finanzierung passen eh auf kein Wahlplakat – die findet man dann eben später. Oder auch nicht.
Nicht, dass alle Ideen in den Wahlprogrammen völlig falsch wären. Steuerentlastungen könnten sogar ein sehr probates Mittel sein, um die Wirtschaft zu beleben. Nur kosten auch sie eben Geld, sehr viel Geld sogar, wenn sie wirklich etwas bewirken sollen. Geld, das die gerade zerbrochene Ampelkoalition partout nicht aufzutreiben vermochte. Und nicht einmal die zahlreichen, CDU-geführten Regierungen zwischen 2005 und 2021, als die öffentlichen Kassen noch vergleichsweise gut gefüllt waren.
So will die Union die Wirtschaft retten 06.03
Es ist schon ein merkwürdiger Wahlkampf, der gerade aufzieht: Drei Jahre lang drehte sich die Politik in Deutschland allein um hohe Energiekosten, fehlendes Wirtschaftswachstum, um drastisch steigende Verteidigungsausgaben und um milliardenschwere Hilfs- und Waffenpakete für die Ukraine, die nur mit Ach und Krach zu finanzieren waren. Die Parteien stritten sich um dreistellige Millionenbeträge für die Landwirte, die unbedingt einzusparen seien, da sonst kein verfassungsmäßiger Haushalt möglich gewesen wäre.
Ein bisschen Ehrlichkeit wäre Friedrich Merz zu wünschen
Und jetzt, kaum dass die Regierung zerbrochen ist, soll plötzlich wieder Geld da sein noch und nöcher. Und die Parteien wollen Geld ausgeben, als erlebe das Land gerade einen Wirtschaftsboom wie vor acht oder zehn Jahren. 90 bis 100 Mrd. Euro pro Jahr dürften alle Steuerpläne von CDU und CSU den Staat an Einnahmen kosten, wenn sie komplett umgesetzt sind, berichten die Kollegen des „Handelsblatts“. Man kann das wollen, und man wird damit sogar das Wirtschaftswachstum wieder befeuern. Aber ohne dauerhaft deutlich mehr Schulden sind solche Reformpläne nicht zu machen, auch nicht durch Kürzungen beim Bürgergeld. So viel Ehrlichkeit würde man sich von einem Reformkanzler Friedrich Merz schon wünschen.
Und selbst wenn man sich auf diese Pläne einließe, man hätte noch keinen Euro zusätzlich für die Bundeswehr ausgegeben (in deren Etat schon ab 2027/28 gewaltige Löcher klaffen). Schon gar nicht käme man so auch nur in die Nähe von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung, wie sie jetzt die CSU verspricht. Oder gar auf fünf Prozent, die der kommende US-Präsident Donald Trump von den NATO-Staaten einfordert. Auch für die marode öffentliche Infrastruktur, Straßen, Brücken, Schulen und die kaputte Bahn wäre noch nichts getan. Alles Missstände, die abzustellen in den kommenden Jahren eher hunderte Milliarden Euro zusätzlich kosten wird.
Es ist schon eine große Kunst der Verdrängung und Ablenkung, die Spitzenpolitiker beherrschen müssen: immer just für den Wahlkampf die bitteren Realitäten einfach ausblenden zu können. Ausgerechnet in diesen Wochen vor der Wahl erleben wir Politik nicht mehr als Arbeit an realen Problemen, sondern allein als Wille und Vorstellung – bei manchen Kandidaten auch als Autosuggestion.
Dabei waren wir noch vor kurzem schon mal weiter. Im Herbst diskutierte das Land einige Wochen lang durchaus ernsthaft über ein Papier des damaligen Noch-Bundesfinanzministers, in dem auf 18 Seiten harte, aber zum Großteil auch sinnvolle und notwendige Reformen für das Land skizziert wurden. Dazu gehörten sogar Steuerentlastungen. Aber sie waren eingebettet in teils drastische Reformen und Kürzungen auf der Ausgabenseite.
Die Herausforderungen bleiben dieselben nach der Wahl
Und es gab auf der anderen Seite ein Konzept für mehr Investitionen aus dem grünen Bundeswirtschaftsministerium. Es sah unter anderem massive Investitionsanreize vor, finanziert über höhere Schulden. Die Debatte war recht binär, es ging hin und her: entweder das eine oder das andere. Dabei lautete die einzig richtige Antwort schon damals: Wir brauchen beides.
Die gewaltigen Aufgaben, an denen die alte Regierungskoalition gescheitert ist, gehen nicht einfach weg mit der Wahl am 23. Februar. Das Land wird danach kein anderes sein als heute. Eher kommen bis zur Wahl sogar noch ein paar neue Herausforderungen dazu. Man wüsste zu gerne, wie Merz, Scholz, Habeck und Lindner damit umgehen wollen. Wenigstens sind bis zur Wahl ja noch sechs Wochen Zeit.