Wahldrama: AfD gegen alle: Der historische Kampf um den Thüringer Landtag
Was macht die AfD? An diesem Donnerstag will das Parlament in Erfurt einen Präsidenten wählen. Doch es droht eine nie dagewesene politische und juristische Schlacht.

Was macht die AfD? An diesem Donnerstag will das Parlament in Erfurt einen Präsidenten wählen. Doch es droht eine nie dagewesene politische und juristische Schlacht.

In dem Jahrzehnt seit 2014 ist Thüringen zum Land der politischen Premieren geworden. Hier gab es vieles zum ersten Mal: Die erste linke Landtagspräsidentin, der erste linke Ministerpräsident, der erste von der AfD gewählte Regierungschef (und das sogar ohne Regierung) und zuletzt die erste Minderheitsregierung ohne Tolerierung. 

Und nun? Nun gibt es in Thüringen das erste Parlament, in dem die AfD die größte Fraktion stellt. Damit steht ihr das Vorschlagsrecht für die Wahl des neuen Landtagspräsidenten vor. 

Es ist ein Recht, dass in der Bundesrepublik stets galt, ob nun als formal vorgeschriebene Regel oder als ungeschriebenes Gesetz. Oder beides. Nur deshalb wählte die Thüringer CDU vor fünf Jahren klaglos eine frühere SED-Funktionärin als Landtagspräsidentin.

Landtagspräsident CDU Thüringen

Doch wenn an diesem Donnerstag in Erfurt der neu gewählte Landtag zusammentritt, wollen die Fraktionen von CDU, BSW, Linke und SPD nicht für die von der AfD nominierte Kandidatin stimmen. Stattdessen haben sie vor, einen CDU-Abgeordneten ins protokollarische höchste Amt des Landes zu wählen.

Damit wird das, was sonst nur Formsache ist, nämlich die Konstituierung eines Parlaments, zu einer bisher nie dagewesenen Schlacht, in die auch das Landesverfassungsgericht gezogen werden dürfte. Es zeichnet sich, wieder einmal, ein historischer Vorgang ab. Und so könnte er ablaufen.

Die Ausgangsbasis

Die AfD stellt im neuen Landtag mit 32 von 88 Abgeordneten die größte Fraktion. Doch aus dem damit verbundenen Vorschlagsrecht ergibt sich nicht automatisch ein Anrecht auf das Amt. Zum einen ist da die Landesverfassung, in der es bloß heißt, dass der Landtag den Präsidenten „aus seiner Mitte“ wählt und jeder Abgeordnete allein seinem Gewissen verpflichtet ist. Zum anderen ist die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig: Es gibt keinen Anspruch auf Parlamentsposten.

Darüber hinaus ist die AfD von der nötigen Mehrheit von 45 Stimmen weit entfernt. Die CDU (23 Abgeordnete), das BSW (15), die Linke (12) und die SPD (6) kommen gemeinsam auf 56 Stimmen.

Aber: Die Wahl des Landtags wird vom Alterspräsidenten geleitet. Dabei handelt es sich um den neuen Abgeordneten Jürgen Treutler. Und er ist Mitglied der AfD-Fraktion, was den Ablauf der Ereignisse erheblich beeinflussen könnte.

Die Geschäftsordnung

Das Vorschlagsrecht der AfD steht in der Geschäftsordnung des Landtags, in der es heißt: „Die stärkste Fraktion schlägt ein Mitglied des Landtags für die Wahl zur Präsidentin beziehungsweise zum Präsidenten vor.“ Und: „Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich keine solche Mehrheit, können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden.“ 

Der Ältestenrat des alten Landtags einigte sich vorsorglich im Frühjahr – mit Ausnahme der AfD – auf diese Auslegung: Wenn der von der stärksten Fraktion aufgestellte Kandidat in zwei Wahlgängen keine Mehrheit findet, sind Kandidaten anderer Fraktionen zulässig. Eine Initiative der rot-rot-grünen Minderheitskoalition, die Geschäftsordnung entsprechend zu ändern, scheiterte an der CDU.

19: Wegen AfD CDU und BSW wollen Regeln für Landtagspräsidentenwahl in Thüringen ändern – 6e994256b266e74f

Doch nun, da die AfD stärkste Fraktion ist, hat die Union umgesteuert. Gemeinsam mit dem BSW setzte sie einen Antrag auf die Tagesordnung, um die Geschäftsordnung zu ändern: Alle Fraktionen sollen bereits im ersten Wahlgang Kandidaten aufstellen können. Auch Linke und SPD unterstützen dies. Die AfD hält die Änderung hingegen für gesetzwidrig, weil ja zu diesem Zeitpunkt der Landtag noch nicht konstituiert ist.  

Die Kandidaten

Die AfD hat die Abgeordnete Wiebke Muhsal nominiert. Die 38-jährige Juristin und Mutter von vier Kindern gehörte dem Landtag bereits nach 2014 für fünf Jahre an. Die enge Vertraute von Björn Höcke verursachte damals einen Eklat, als sie während einer laufenden Landtagssitzung mit einen Niqab auftrat, um, wie sie sagte, ihre Forderung nach einem Verschleierungsverbot zu bekräftigen.

2019 kandidierte Muhsal nicht erneut für das Parlament, nachdem sie rechtskräftig wegen Betrugs verurteilt wurde. Ihr wurde vorgeworfen, Gelder des Landtags zweckentfremdet zu haben. Doch nur kurze Zeit später galt Muhsal in der Partei wieder als rehabilitiert. Sie wurde auf Platz 3 der Landesliste gewählt und kandidierte im Wahlkreis nahe Jena gegen den CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt – den sie gewann.

Als Gegenkandidaten hat die CDU den CDU-Abgeordneten Thadäus König vorgeschlagen. Er wird auch von BSW, Linke und CDU unterstützt. Der 42-Jährige sitzt seit 2019 im Landtag und hatte zuletzt sein Direktmandat im Eichsfeldkreis mit dem landesweiten Bestergebnis von 54,3 Prozent verteidigt.

Die juristische Schlacht

Der Landtag wird sich am Donnerstag um 12 Uhr versammeln. Die Geschäftsordnung regelt das Prozedere so: Nachdem der Alterspräsident die Abgeordneten zwei vorläufige Schriftführer ernannt hat, rufen diese die Abgeordneten namentlich auf. Wenn die Beschlussfähigkeit festgestellt ist, wäre der nächste Punkt die Wahl des Landtagspräsidenten. 

Doch nach dem Antrag von CDU und BSW wurde die Tagesordnung überarbeitet. Nun steht die „Änderung der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags“ auf dem Plan – und zwar vor der Wahl des Parlamentschefs. 

Die entscheidende Frage lautet: Was macht AfD-Alterspräsident Treutler? Nach allem, was man aus seiner Partei hört, wird er den Tagesordnungspunkt wegen rechtlicher Bedenken nicht zulassen. Daraufhin dürften eine oder mehrere Fraktionen den Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar anrufen – womit wahrscheinlich die Sitzung automatisch auf Freitag vertagt wäre.

25: Voigt AfD hat rechtssicheres Verfahren aufgekündigt – d4e491b91dba5876

Von der Eilentscheidung der Verfassungsrichter hängt dann ab, wie es im Landtag weitergeht. Variante A: Änderung der Geschäftsordnung und danach offene Wahl des Landtagspräsidiums. Variante B: Der Landtag darf ohne Konstituierung die Geschäftsordnung nicht ändern, das Gericht erklärt aber, dass ab dem dritten Wahlgang andere Kandidaten zuzulassen sind. Oder Variante C: Es gilt weiter das alleinige Vorschlagsrecht der AfD nach Gutdünken des Alterspräsidenten. 

Alles ist möglich

Bei Variante A und B wäre am Freitag relativ rasch der CDU-Abgeordnete König zum Präsidenten gewählt. Bei Variante C könnte die Höcke-Fraktion mit Taktieren beginnen und zum Beispiel einen ihr genehmen Kandidaten einer anderer Partei aufstellen. Genannt wird hier die CDU-Abgeordnete Martina Schweinsburg, die sich bereits für Gespräche mit der AfD ausgesprochen hat. 

Was also wird passieren? Schafft das Verfassungsgericht ausreichende Klarheit? Wird es eine Absprache mit der AfD geben, um eine mögliche Verfassungskrise abzuwenden? Oder gibt es gar in der geheimen Wahl wieder eine Überraschung wie im Februar 2020, als die AfD einen Scheinkandidaten aufstellte und dann den FDP-Landeschef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte?

In Thüringen ist alles möglich. Doch der Mann, der damals inmitten des Chaos stand, um dann doch wieder Regierungschef zu werden, gibt sich gelassen. „Wir werden als Linke-Fraktion mit unseren zwölf Stimmen den Beitrag leisten, dass wir 56 Stimmen haben, damit der Landtag korrekt konstituiert wird“, sagte Bodo Ramelow dem stern

Allerdings, es könne länger dauern, vielleicht sogar bis Samstag:  „Ich habe jetzt gerade alle Termine so umgestellt, dass ich als Abgeordneter an bis zu drei Tagen präsent sein kann.“