Politische Polarisierung: Antisemitismus-Experte warnt vor Polarisierung
Dervis Hizarci ist Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Er warnt vor Gefahren für die Demokratie und fordert entschiedenes Gegensteuern.

Dervis Hizarci ist Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Er warnt vor Gefahren für die Demokratie und fordert entschiedenes Gegensteuern.

Der Vorsitzende der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (Kiga), Dervis Hizarci, hält die aktuelle Polarisierung der Gesellschaft für gefährlich. „Wir sind durch und durch polarisiert zu jedem Thema, nicht nur beim Nahostkonflikt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. 

„Das Problem der Polarisierung ist nicht, dass jemand auf der falschen Seite steht. Das Problem ist die Polarisierung selbst, dass es immer nur noch ein Richtig und ein Falsch gibt. Demokratie lebt aber von Kontroverse und Meinungsvielfalt, von Kompromissen.“

Deshalb sei Polarisierung die große Gefahr für die Demokratie. „Sie hat das Potenzial, sie zu zersetzen und zu töten“, sagte Hizarci, dessen Buch „Zwischen Hass und Haltung – Was wir als Migrationsgesellschaft lernen müssen“ gerade erschienen ist.

Hizarci, der selbst in Neukölln aufgewachsen ist und sich als Muslim seit 15 Jahren gegen Antisemitismus engagiert, spricht am Abend (20 Uhr) im Pfefferberg Theater mit dem Regisseur und früherem Intendanten der Komischen Oper, Barrie Kosky, über dieses Thema. 

„Jüdische Kinder werden sich noch unsicherer fühlen“

„Wenn wir nicht großflächig Maßnahmen ergreifen etwa bei der langfristigen Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen, werden wir das nicht einfangen können. Wenn wir es weiter laufen lassen, wird die Situation sogar schlimmer werden“, warnte Hizarci. 

„Jüdische Kinder werden sich an den Schulen noch unsicherer fühlen, muslimische Kinder werden in den Schulen noch mehr Diskriminierung erfahren.“ Deshalb sei es notwendig, gegenzusteuern. 

„Wir haben uns unter dem Einfluss von Spaltung und Extremismus so weit vom sicheren Hafen der Demokratie entfernt, dass wir fürchten, nicht zurückzukönnen“, sagte Hizarci. „Wir steuern auf einen Sturm zu und müssen uns entscheiden: Wollen wir das Ruder herumreißen und zurückkehren oder müssen wir uns weiter treiben lassen?“

„Mut ist gefragt“

Hizarci, der Anfang Oktober mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet wurde, plädiert für mehr Zuversicht: „Man kann es schaffen und eine liberale, demokratische Gesellschaft werden, die Vielfalt anerkennt und lebt, wenn wir das Ruder in die Hand nehmen.“ Dieser Mut sei jetzt gefragt.

„Es stimmt aber auch: Hätten wir die Zeit in den ruhigeren Jahren genutzt, als wir noch bessere Chancen hatten, zusammenzukommen und belastbare Beziehungen aufzubauen, gäbe es heute weniger Konflikte.“ Der aktuelle Zustand sei auch ein Ergebnis vieler Versäumnisse.

Hizarci plädiert gleichzeitig für eine realistische Beschreibung der Probleme. Es gebe in Berlin leider problematische Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt, antisemitische Parolen, Schmierereien mit roten Dreiecken, Besetzung von Universitäten, Konfrontationen mit der Polizei. 

„Aber andererseits muss man das gemessen an der Brutalität des Konflikts im Nahen Osten und den vielen Menschen hier mit unmittelbarem Bezug dorthin, im Verhältnis sehen“, forderte Hizarci. Man müsse Probleme benennen, dürfe sie aber nicht größer machen, als sie sind.