Populismus: Wie viel Donald Trump dürfte Friedrich Merz?
Übertreibungen, Diffamierungen und Fake News: Der US-Wahlkampf, vor allem Donald Trumps Rhetorik, war brutal. Auch hierzulande nimmt die Härte zu – aber noch gibt es Grenzen.

Übertreibungen, Diffamierungen und Fake News: Der US-Wahlkampf, vor allem Donald Trumps Rhetorik, war brutal. Auch hierzulande nimmt die Härte zu – aber noch gibt es Grenzen.

Essen? Auch für Politiker ein beliebtes Thema. Als die Europäische Union 2023 mehrere Insektenarten als Lebensmittel zuließ und Grünen-Vertreter das begrüßten, schaltete Markus Söder in den Angriffsmodus: Ihm sei Schweinsbraten lieber als Hausgrille oder Getreideschimmelkäfer, tönte der CSU-Chef. Er beklagte, die Grünen forderten immer mehr Vorschriften beim Essen, die er für „völlig überzogen“ halte. Das war stark übertrieben, aber was macht das schon, wenn man den politischen Gegner als Feindbild aufbauen will. 

Auch im Fernsehduell zwischen Kamala Harris und Donald Trump ging es um Essen, wenngleich noch eine Nummer härter: Der republikanische Präsidentschaftskandidat behauptete, haitianische Flüchtlinge klauten und verzehrten in einem texanischen Grenzort Haustiere. Das war nachweislich falsch. Aber was macht das schon, wenn es darum geht, die Stimmung gegen Migranten anzuheizen? 

Drohen Deutschland in Zukunft amerikanische Verhältnisse? 

Kann man Markus Söder und Donald Trump wirklich vergleichen? Natürlich nicht. Der CSU-Chef ist ein hemmungsloser Zuspitzer, der US-Präsidentschaftskandidat ein notorischer Lügner. Die persönliche Diffamierung gehört zu Trumps täglichem Geschäft, der US-Wahlkampf war streckenweise eine politische Horrorshow. Und doch hält auch in Deutschland die Mixtur aus Übertreibungen, Halbwahrheiten, alternativen Fakten und gezielter Desinformation Einzug in den politischen Diskurs. Drohen uns in Zukunft amerikanische Verhältnisse? 

Kommentar Wahlkampf 7:19

Die politische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik kennt immer schon eine robuste Härte. Auch der persönliche Angriff wird bisweilen geführt, seine schlimmste Ausprägung – aus naheliegenden Gründen ein deutsches Spezifikum – ist der NS-Vergleich. Den Namen Goebbels verwendeten schon Willy Brandt in Verbindung mit Heiner Geißler und Helmut Kohl mit Blick auf Michail Gorbatschow. Zuletzt sahen sich Saskia Esken und Lars Klingbeil veranlasst, die AfD als Nazi-Partei zu beschimpfen. Und der CDU-Politiker Jens Spahn fühlte sich von Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz wegen eines anti-israelischen Posts an Hermann Göring erinnert. Markus Söder, womöglich auf der Suche nach neuen Gemeinheiten, hielt es am Aschermittwoch wiederum für angezeigt, die Grünen-Ministerin Steffi Lemke mit Margot Honecker zu vergleichen. Doch die Deutschen sind noch zimperlich. Nicht selten fallen solche Angriffe auf den Angreifer zurück.  

Auch das Phänomen der gezielten Desinformation ist nicht neu. Zum Gegenstand intensiver Betrachtung avancierte die gezielte Irreführung, neudeutsch Fake News, allerdings erst vor einigen Jahren, befeuert durch Donald Trumps erste Amtszeit als US-Präsident, die wachsende Bedeutung sozialer Medien und russische Propagandaattacken.  

Wann ist eine Behauptung eine absichtliche Lüge, wann ein Irrtum?

Fake News, das klingt wie eine klare Definition – doch das Gegenteil ist der Fall. Oft sind die Übergänge fließend. Wann ist eine Behauptung eine absichtliche Lüge, wann ein Irrtum? Man kann bei Fake News Täter sein oder sich als deren Opfer stilisieren. Oder beides. Falsche Behauptungen werden in die Welt gesetzt, aber auch Tatsachen als falsch verleumdet. Donald Trump verbreitet falsche Informationen und nennt umgekehrt viele Journalisten selbst Fake News. 

US-Wahl Newsblog

Fest steht: Behauptungen und Vorwürfe hart am Rande oder jenseits der Wahrheit spielen auch in der deutschen Politik eine zunehmend wichtige Rolle. Der bislang bekannteste Fall von Fake News war 2016 das Verschwinden der damals 13-jährigen Russlanddeutschen Lisa in Berlin, das vom russischen Außenminister Sergei Lawrow für massive Vorwürfe gegen deutsche Behörden instrumentalisiert wurde. Während der Coronapandemie geisterten Falschmeldungen durch die sozialen Medien. Im Wahlkampf 2021 wurde Annalena Baerbock häufig Opfer von absurden Vorwürfen: Die Grünen-Kanzlerkandidatin wolle angeblich Haustiere verbieten lassen oder die Witwenrente abschaffen, hieß es da.  
Im September 2023 geriet umgekehrt Friedrich Merz in die Kritik, weil er behauptete, wegen abgelehnter Asylbewerber in den Wartezimmern bekämen deutsche Patienten keine Arzttermine mehr. Und bis zu 40 Prozent der Befragten, so ergab jetzt eine Studie, glauben falschen Aussagen über die Windkraft: Sie sei eine Gefahr für Vögel, krebserregend beim Menschen, schlecht fürs Grundwasser.  

Gemessen an den USA sind die Deutschen noch relativ resilient

Fake News sind auch in Deutschland zum politischen Instrument geworden. Verbreiter sogenannter alternativer Fakten stehen längst dazu, eine Art eigene Realität schaffen zu wollen. Was nicht passt, wird passend gemacht. Auf die Frage, warum Fake News von der AfD bewusst geteilt würden, sagte schon 2017 der damalige Parteisprecher gegenüber dem ARD-Faktenfinder: „Wenn die Message stimmt, ist uns eigentlich egal, woher das Ganze kommt oder wie es erstellt wurde. Dann ist es auch nicht so tragisch, dass es Fake ist.“ 

Bemerkenswert ist indes die Frage nach der politischen Wirkung von Fake News in Deutschland. Studien haben ergeben, dass rund um die Bundestagswahlen 2017 und 2021 die Debatte um alternative Fakten intensiver war als deren tatsächliche Wirkung auf das Ergebnis der Wahl. Die Deutschen zeigen sich resilient. Könnte sich das bei der nächsten Bundestagswahl ändern? Amerikanische Verhältnisse sind denkbar, aber unwahrscheinlich. Gegen Fake News in Deutschland schützt bislang ein Mediensystem, dessen Glaubwürdigkeit bei aller Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und auch der privatwirtschaftlichen Presse noch hoch ist – gemessen an den USA. 

Infobox US-Wahl-NL

Zwar habe sich auch hierzulande ein Kern aus äußerst kritischen Menschen verfestigt, die auf die Medien regelrecht feindselig blickten und sich sogenannten „alternativen“ Medien zuwenden, sagt Tanjev Schultz, Professor für Journalistik an der Universität Mainz. Diese Gruppe bewege sich zwischen 15 und 25 Prozent, viele versammelten sich hinter dem Slogan von der „Lügenpresse“, vor allem Anhänger der AfD. „Aber die Mehrheit in Deutschland hält die etablierten Medien und Medienmarken weiterhin für weitgehend glaubwürdig“, sagt Schultz. 

US-Medien spiegeln die politische Polarisierung wider

Den oft angefeindeten öffentlich-rechtlichen Rundfunk hielten noch immer gut zwei Drittel für vertrauenswürdig. In den USA fehle es dagegen mittlerweile an Quellen, auf die sich eine Mehrheit der Bürger als Grundlage für verlässliche Informationen verständigen könne, so Schultz. Viele Menschen hätten das Vertrauen in die Nachrichtenmedien in den vergangenen Jahrzehnten verloren. „Die großen Nachrichtensender, aber auch viele Zeitungen gelten dort als parteiisch und spiegeln die politische Polarisierung wider.“ 

Hinzu kommt, dass in Deutschland die Struktur des politischen Systems selbst zu seinem eigenen Schutz beiträgt. Anders als in den USA, wo das Mehrheitswahlrecht zu einer massiven Polarisierung geführt hat, fördert das Verhältniswahlrecht in Deutschland eine breitere parlamentarische Repräsentation. Und der Zwang zu Koalitionsregierungen fördert die Konsensfähigkeit. 

Verhältnis Trump Putin 15.30

Diese Bereitschaft zum Kompromiss kann allerdings unter Druck geraten, wenn es in Verteilungskonflikten hart zur Sache geht. Die ausgeprägte Konsensdemokratie und die pragmatische Krisensteuerung der vergangenen Jahre lasse uns heute „die Rückkehr in eine Ära der Konfliktdemokratie als schroff und schmerzhaft erfahren“, konstatierte der Historiker Martin Sabrow schon Anfang 2024, als Bauern gegen die Kürzung des Agrardiesels mobilmachten und dabei auch Politikerpuppen an Galgen baumeln ließen. 

Einen Donald Trump als Matrix-Figur erkennen Nutzer als Satire

Alternative Fakten finden in einer solchen Stimmung wachsende Verbreitung. Dabei hängt ihre Wirksamkeit nicht nur von der Kreativität ihrer Schöpfer ab, sondern auch von der Leichtgläubigkeit der Adressaten. Erfahrungen aus den USA zeigen: Einen Trump als Matrix-Figur, der mit der bloßen Hand Pistolenkugeln aufhält, erkennen Nutzer als Satire. Anders kann es sich verhalten bei einem von künstlicher Intelligenz generierten Bild, mit dem suggeriert wird, Militärflugzeuge hätten Opfer eines Hurrikans in Florida ignoriert. 

Auch in Deutschland haben Fake News umso größere Durchschlagskraft, je mehr sie bestehende Klischees verstärken. Im Wahlkampf 2017 glaubten nur 14 Prozent aller Befragten, aber 41 Prozent der AfD-Wähler, Flüchtlinge bekämen den Führerschein vom Staat finanziert. Freilich sind nicht nur AfD-Wähler anfällig für Falschinformationen. Dass der CDU-Slogan zur Wahl 2017 – „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“ – ursprünglich von einem SED-Plakat stamme, glaubten insgesamt nur 28 Prozent der Befragten. Aber 37 Prozent der Grünen-Wähler.