Prozess in Avignon: Gisèle Pelicot: "Es ist an der Zeit, Vergewaltigung mit anderen Augen zu sehen"
Der Vergewaltigungsprozess gegen zahllose Männer in Avignon hat Frankreich aufgewühlt. Nun hat sich Opfer Gisèle Pelicot vor den Schlussplädoyers nochmal zu Wort gemeldet.

Der Vergewaltigungsprozess gegen zahllose Männer in Avignon hat Frankreich aufgewühlt. Nun hat sich Opfer Gisèle Pelicot vor den Schlussplädoyers nochmal zu Wort gemeldet.

Die in Frankreich als Heldin gefeierte Gisèle Pelicot, die von ihrem Mann über Jahre hinweg immer wieder betäubt und gemeinsam mit fremden Männern vergewaltigt wurde, hat ein Ende der Verharmlosung sexueller Gewalt gefordert. „Es ist an der Zeit, Vergewaltigung mit anderen Augen zu sehen“, sagte die 72-Jährige am Dienstag bei ihrer abschließenden Anhörung vor Gericht in Avignon.

„Es ist ein Prozess gegen die Feigheit“, betonte die 72-Jährige, während ihr mittlerweile geschiedener Mann Dominique Pelicot auf der Anklagebank den Kopf senkte. Er ist gemeinsam mit 50 weiteren Männern angeklagt, denen er in Internetforen angeboten hatte, seine Frau zu vergewaltigen, nachdem er ihr ohne ihr Wissen Schlafmittel verabreicht hatte. Die Ermittler zählten rund 200 Vergewaltigungen, davon knapp die Hälfte durch Fremde. 

Viele Vergewaltiger glaubten an ein Rollenspiel

„Es gibt nur wenige, die zu ihren Taten stehen“, sagte Gisèle Pelicot mit Blick auf die Angeklagten. „Einer der Männer hat gesagt: ‚Mit dem Finger, das ist keine Vergewaltigung‘. Der soll mal scharf nachdenken“, betonte die 72-Jährige. „Ich möchte diesen Männern sagen: Wann genau hat Frau Pelicot Ihnen eigentlich ihr Einverständnis gegeben?“Avignon Täter Teil 4 16.25

Tatsächlich hatten viele der Angeklagten im Prozess ausgesagt, sie seien davon überzeugt gewesen, sich am Rollenspiel eines sexuell freizügigen Paares zu beteiligen, bei dem sich die Frau schlafend stellte.

Ähnlich äußerte sich der 62 Jahre alte Philippe P., der als letzter der Angeklagten am Dienstag angehört wurde. „Ich habe nicht weiter nachgedacht. Ich wusste nicht, dass ich etwas Verbotenes tat. Das habe ich erst später verstanden“, sagte er vor Gericht. Er bezeichnete Dominique Pelicot als einen „Dämon“, der ihm „Befehle“ gegeben habe.

Nur wenige haben sich bei Pelicot entschuldigt

Nur wenige der Angeklagten haben sich in dem seit Anfang September laufenden Prozess bei Gisèle Pelicot für ihre Taten entschuldigt. Die meisten der 51 Angeklagten müssen im Fall einer Verurteilung wegen schwerer Vergewaltigung mit Haftstrafen von bis zu 20 Jahren rechnen.

Gisèle Pelicot bekräftigte, dass sie während der gut zehn Jahre, in denen ihr Mann sie immer wieder gemeinsam mit Fremden missbrauchte, nichts davon geahnt habe. Ihr Mann habe viele sexuelle Fantasien gehabt, zu deren Verwirklichung sie nicht bereit gewesen sei. „Da ich nicht mit ihm in einen Swingerclub gehen wollte, dachte er, er habe einen Weg gefunden, in dem er mich betäubte“, sagte sie.

Auf diese Weise habe sie zehn Jahres ihres Lebens verloren, warf Pelicot ihrem Ex-Mann vor: „Diese Wunde wird nie heilen.“

Von Mittwoch an werden die Anwälte der Nebenkläger ihre Plädoyers halten, anschließend ist die Staatsanwaltschaft an der Reihe. Für die Plädoyers der 51 Angeklagten im Alter zwischen 26 und 74 Jahren sind drei Wochen eingeplant. Das Urteil soll spätestens am 20. Dezember fallen.