Femizide: Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet
Das Bundeskriminalamt hat seinen ersten Lagebericht zur Gewalt gegen Frauen und damit zusammenhängende Straftaten in Deutschland vorgestellt. Die Zahlen sind alarmierend.

Das Bundeskriminalamt hat seinen ersten Lagebericht zur Gewalt gegen Frauen und damit zusammenhängende Straftaten in Deutschland vorgestellt. Die Zahlen sind alarmierend.

Ein Mann in Buxtehude zündet erst seine Ex-Freundin an, dann sich selbst. Ein 19-Jähriger in Bayreuth ersticht seine frühere Partnerin und wird dafür verurteilt, die Richterin attestiert ihm einen „absoluten Vernichtungswillen„. Ein 35-jähriger Berliner stalkt seine ehemalige Lebensgefährtin und Mutter seiner Tochter, später schneidet er ihr die Kehle durch.

Das sind nur drei Beispiele aus diesem Jahr. Hass, Gewalt und Straftaten gegen Frauen nehmen massiv zu. Das Bundeskriminalamt (BKA) hat am Dienstag gemeinsam mit Innenministerin Nancy Faeser und Frauenministerin Lisa Paus neue Zahlen für Deutschland vorgestellt.

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Der Bericht „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ ist das erste große Lagebild auf diesem Gebiet. Es erfasst, wie häufig Menschen Opfer von Straftaten und Gewalt werden, weil sie Frauen und Mädchen sind.

Die wichtigsten Daten im Überblick:

Straftaten gegen Frauen und Mädchen nehmen im Vergleich zum Vorjahr in allen Bereichen zu.Fast jeden Tag stirbt in Deutschland eine Frau (2023: 360), weil sie die ihr zugeschriebene Rolle nicht so erfüllt hat, wie die tatverdächtigen Männer es sich wohl gewünscht hätten – man spricht in diesem Zusammenhang von Femiziden.Noch öfter begehen Partner, Ex-Partner oder enge Bekannte einen Mordversuch (2023: 938).52.330 Frauen und Mädchen wurden im vergangenen Jahr Opfer von Sexualstraftaten – die Hälfte davon minderjährig.Digitale Gewalt steigt um 25 Prozent an, mehr als 17.000 Frauen und Mädchen wurden vergangenenes Jahr im Netz beleidigt, gestalkt oder anderweitig belästigt.Auch häusliche Gewalt, Menschenhandel und politisch motivierte Kriminalität gegen Frauen nehmen massiv zu – zum Teil gibt es einen Anstieg von mehr als 50 Prozent.

Jede Zahl steht für ein Schicksal, eine brutale Erfahrung, die Mädchen und Frauen ihr Leben lang prägen kann. Doch die Masse an Schicksalen zeigt auch: Misogynie ist ein strukturelles Problem. „Gewalt gehört zum Alltag von Frauen“, fasst Bundesfamilienministerin Lisa Paus den Bericht zusammen. „Das ist beschämend.“ Gleichzeitig sind die aufgeführten lediglich die offiziell erfassten Zahlen – das BKA geht von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.

Gesellschaftliche Veränderungen können zu Gewalt gegen Frauen führen

Die Femizid-Statistiken sind ein Beleg für das, was Forschende wie Judith Goetz immer wie betonen. „Frauen und Mädchen wird immer eingeredet, die gefährlichsten Orte seien dunkle Straßen oder Parks“, sagte die Literatur-, Politikwissenschaftlerin und Genderforscherin im März im Gespräch mit dem stern. „Doch das Gegenteil ist der Fall. Die überwiegende Mehrheit der Gewalttaten findet in den eigenen vier Wänden statt.“

Gewalt gegen Frauen kann viele Ausprägungen haben.Einige Männer fühlen sich zum Beispiel durch die zunehmende Emanzipation von Frauen in ihrem traditionellen Rollenbild bedroht. Dabei spielen das Internet und Influencer wie Andrew Tate eine große Rolle, aber auch der Aufstieg eines Mannes wie Donald Trump, der frauenfeindliche Aussagen ohne jede Scham verbreitet. Nach dem Wahlsieg des künftigen US-Präsidenten trendete bei X „Your body, my choice“ – dein Körper, meine Entscheidung. Es ist eine Umkehrung des feministischen Schlachtrufs „My body, my choice“, der das Recht auf den eigenen Körper verteidigt.

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Doch dass die Fallzahlen steigen, zeigt auch: Frauen zeigen ihre Peiniger häufiger an als früher. Immer häufiger seien Frauen nicht bereit, Gewalt stillschweigend zu erdulden, heißt es vom BKA.

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Dieses erste große Lagebild kommt spät, denn Gewalt gegen Frauen ist bei Weitem kein neues Problem. Dass die Statistiken überhaupt so umfassend zusammengetragen wurden, ist eine Konsequenz der Istanbuler Konvention, die Deutschland ratifiziert hat und die vor zehn Jahren in Kraft getreten ist. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich, gegen alle Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt vorzugehen – also Delikte, die sich laut UN „entweder gegen Frauen richten oder die Frauen unverhältnismäßig stark treffen“.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ berät unter der Rufnummer 08000 116 016 und online auf www.hilfetelefon.de rund um die Uhr und kostenfrei zu allen Formen von Gewalt. Die Beratung erfolgt anonym, vertraulich, barrierefrei und in 18 Fremdsprachen. Auf Wunsch vermitteln die Beraterinnen an eine Unterstützungseinrichtung vor Ort. Auch Bekannte, Angehörige und Fachkräfte können sich an das Hilfetelefon wenden.

Quellen:  Bundeskriminalamt, Bundesfamilienministerium, UN Women, mit Informationen der Nachrichtenagenturen DPA und AFP