"ZDF Magazin Royale": Wie ein alttestamentarischer Prediger: Jan Böhmermann geißelt soziale Medien
Sind wir alle Sklaven von TicToc und Co? Jan Böhmermann hat sich im "ZDF Magazin Royale" den sozialen Medien gewidmet. Phasenweise brillant – und wahnsinnig anstrengend.

Sind wir alle Sklaven von TicToc und Co? Jan Böhmermann hat sich im „ZDF Magazin Royale“ den sozialen Medien gewidmet. Phasenweise brillant – und wahnsinnig anstrengend.

Gleich zu Beginn seiner Show stellte Jan Böhmermann die Frage, die viele Zuschauer tatsächlich lange beschäftigt haben dürfte. „Wir sind an der Stelle der Sendung“, hob Böhmermann an, „wo Sie sich fragen: Worüber redet der Jockel heute wieder 20 Minuten lang?“

Der Titel der Sendung gab die grobe Richtung vor. „Daddeln, Scrollen, Wischen – Gefangen im Netz“ war die Folge überschrieben. Zunächst aber lud er die Zuschauer ein zum Mitmachen: Benötigt wurden Alufolie, 500 ml destilliertes Wasser, vier TicTacs sowie sechs halbe Teelöffel Kreuzkümmel – die zusammengerührt werden.

Das „ZDF Magazin Royale“ als flirrender Social-Media-Feed

Bevor aber klar wurde, worauf das hinauslaufen soll, schweifte er ab. Das Thema – soziale Netzwerke wie X, TikTok, Facebook, Instagram, LinkedIn, BeReal oder Snapchat – erfuhr von Böhmermann keine strukturierte Behandlung. Viel mehr war die ganze Folge abschweifend und sprunghaft – so als wäre das „ZDF Magazin Royale“ selbst aufgebaut wie ein Social-Media-Feed. Böhmermann imitierte mit großer Virtuosität Formate, legte sich Filter auf, führte fragwürdige Netzphänomene vor, griff Trends auf und zeigte, wie die Netzwerke die Eitelkeit vieler Menschen ausnutzen.

Doch was bezweckt Böhmermann mit dieser kunstvollen Performance? Was ist die eigentliche Botschaft seines Beitrags? Das wurde erst zum Ende offenbar, als er den Ton änderte und nun die Dinge deutlich ansprach: „Unser Leben und die Art, wie wir denken und denken können hat sich radikal verändert. Und es ist uns nicht mal bewusst.“fs-Böhmermann 09.34

War seine Herangehensweise zuvor spielerisch-assoziativ, trat er nun moralisch und belehrend auf: „Wir würden nicht akzeptieren, wenn das Fernsehen so wäre, wie das Internet ist. Wenn Kino, Theater oder Literatur uns zu den entmündigten Zuschauer:innen machen würden, zu denen uns das Handy gemacht hat“, sagte Böhmermann, und die Denkfalte auf seiner Stirn schien noch tiefer zu werden. „Wir stehen damit auf, schlafen damit ein, wir reden über das, was uns in unserer 17-stündigen Bildschirmzeit vom Bildschirm entgegenflackert. Aber wie wir jeden Tag unsere Köpfe anbohren, darüber reden wir nicht. Darüber denken wir nicht nach. Das ist uns nicht bewusst.“

Böhmermann war jetzt richtig in Fahrt: „Wir geben uns dem ziellosen, unendlichen Contentstrom hin. Jeden Tag. Der programmiert ist, uns abzulenken und dranzuhalten. Ohne Pointe und ohne Sinn. Wir lassen unsere Gefühle abmelken, uns zu Interaktionen provozieren“, sagte er – und klang dabei fast wie ein alttestamentarischer Prediger. „Vor lauter Angst, etwas zu verpassen in den Timelines, die durch unsere Hände rinnen, rinnt uns das echte Leben durch die Hände.“

Jan Böhmermann im Predigerton

Natürlich: Böhmermanns Kritik trifft ins Schwarze. Die Art, wie die sozialen Medien viele Menschen in ihren Bann gezogen hat, ist beängstigend. Und verdient es, deutlich artikuliert zu werden. Doch einmal mehr bleibt in seiner Show, immerhin eine Satiresendung, irgendwann der Humor auf der Strecke. STERN PAID 19_23 Titel Interview Jan Böhmermann 6.14

Doch halt, ganz zu Ende war die Sendung an der Stelle noch nicht. Eine Frage war ja noch offen: Was passiert denn nun mit dem aus Kreuzkümmel und TicTacs zusammengerührten Getränk?

Böhmermanns lapidare Antwort: „Wenn man das genauso gemacht hat, dann erscheint am Ende Nemo.“ Und so endete die bisweilen doch recht anstrengende Ausgabe vergnüglich – mit partytauglicher Musik von dem ESC-Gewinner Nemo. 

Viele Zuschauer werden sich da schon wieder ihren Handys zugewendet haben. Auf X wird die Sendung bereits rege diskutiert. Gegen die Macht der sozialen Medien kann auch ein Jan Böhmermann nichts bewirken.