Steigende Beiträge: Lauterbachs "große Pflegereform": Ob das was wird?
Steigende Beiträge, hohe Heimkosten: Gesundheitsminister Karl Lauterbach arbeitet an einer Pflegereform. Aber ob sich die Ampel noch auf einen großen Wurf einigen kann, ist fraglich.

Steigende Beiträge, hohe Heimkosten: Gesundheitsminister Karl Lauterbach arbeitet an einer Pflegereform. Aber ob sich die Ampel noch auf einen großen Wurf einigen kann, ist fraglich.

Die Lage ist angespannt, so sehr, dass der Gesundheitsminister sich persönlich äußert. „Die Pflegeversicherung ist nicht insolvent“, sagt Karl Lauterbach am Montag, „ihr droht auch nicht die Insolvenz.“ Pflegebedürftige und Angehörige könnten sich weiter darauf verlassen, dass die Pflegeversicherung die Versorgung bezahle und für die Leistungen aufkomme. 

Dass ein Gesundheitsminister diese Sätze überhaupt sagen muss, zeugt von der Dramatik der Situation. Dem Statement vorangegangen war ein Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland, wonach der Pflegeversicherung eine Zahlungsunfähigkeit drohe und die Ampel an einer „Notoperation“ arbeite, um diese abzuwenden.

Pflegeversicherung Kollaps.  11.30

Der Minister bestreitet das, doch klar ist: Die Pflegeversicherung steht unter enormem Druck. Die Bevölkerung altert, die Beiträge steigen, ebenso die Ausgaben, die Pflegebedürftige selbst für einen Heimplatz aufbringen müssen. Die Einnahmen aber schwächeln, auch wegen der konjunkturellen Lage. 

Karl Lauterbach zeigte sich erst selbst skeptisch

Vor der sich zuspitzenden Situation warnen Experten seit Jahren, aber wirklich angegangen ist die Politik das Problem nicht. Auch bei Lauterbach sah es zunächst nicht danach aus: Nach einer ersten Pflegereform, bei der unter anderem die Beitragssätze stiegen, hoffte er, damit durch die Legislatur zu kommen. Wohl eine falsche Annahme. Nun arbeitet er eigenen Angaben zufolge an einer „großen Pflegereform“.

Zu Details schweigt der Minister bislang, aus seinen Andeutungen wird jedoch deutlich, dass es um eine grundsätzliche Reform der Finanzierung gehen soll. Es gehe darum, „wer zahlt was“, sagte Lauterbach am Montag: um die Entwicklung der Beiträge, um die Heimkosten für Pflegebedürftige, um „Vollkasko-Elemente, ja oder nein“.

Das Problem ist nur: Es braucht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie sich die Koalitionspartner auf etwas einigen, das wirklich helfen würde. Es gibt nur wenige Stellschrauben – und die Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP gehen weit auseinander. 

Im Mai gab der Minister das sogar öffentlich zu. Damals stand eine Kommission, die an Vorschlägen für eine Finanzreform arbeitete, kurz vor dem Abschluss. Lauterbach sagte: „Eine umfassende Finanzreform in der Pflege wird in dieser Legislatur­periode wahrscheinlich nicht mehr zu leisten sein.“ Schon zu einer einheitlichen Empfehlung der Kommission werde es nicht kommen, prognostizierte er (und so kam es auch), dafür seien „die Ansichten der verschiedenen Ministerien beziehungsweise der Koalitionspartner zu unterschiedlich“.

Vorstellungen in der Koalition liegen weit auseinander

In der Zwischenzeit ist der Druck weiter gestiegen, weil mehr Menschen als erwartet pflegebedürftig wurden und die wirtschaftliche Lage weiter angespannt ist. Ob deshalb nun Finanzminister Christian Lindner von der FDP bei der aktuellen Haushaltslage einem höheren Steuerzuschuss zustimmen würde? So gut wie ausgeschlossen. Oder einer Bürgerversicherung, die Privatversicherte mit einbezieht? Ebenso unwahrscheinlich – auch wenn der Gesundheitsminister das befürwortet, SPD und Grüne das seit Jahren fordern.

In den Ampel-Fraktionen wartet man jetzt gespannt auf die Vorschläge des Ministers. Bisher reicht hier die Fantasie nicht, um sich vorzustellen, worauf man sich einigen könne. Denn nach dem Bekenntnis dazu, dass die Situation angespannt ist und es Änderungen brauche, hört die Einigkeit auf. 

STERN PAID Pflegeheft 01_24 Pflegeversicherung.   16.00

„Mit dem demografischen Wandel sinkt die Zahl der Beitragszahler, während der Pflegebedarf steigt – eine finanzielle Schere, die sich ohne Reformen nicht schließen lässt“, sagte der pflegepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jens Teutrine, dem stern. Für ihn ist klar, dass die Beiträge nicht weiter steigen dürften: „Nach Jahren der Inflation kann immer weniger Netto vom Brutto nicht der richtige Weg sein.“

Die FDP biete deshalb eine „Reform für mehr Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung“ an, auch gehe es um „eine Gleichbehandlung von betrieblicher Pflegevorsorge und Betriebsrenten“ und um „Verbesserungen bei der privaten Vorsorge“. Gleichzeitig müssten die Beitragsgelder zielgerichteter und besser verwaltet werden, so Teutrine. 

Den Grünen schweben dagegen mehr Steuermittel als Lösung vor. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Maria Klein-Schmeink sagte dem stern: „Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass gesamtgesellschaftliche Aufgaben – wie etwa die Rentenansprüche pflegender Angehöriger – auch durch Steuermittel gestützt werden sollen.“ 

Das sei ein wichtiger Schritt, um die Pflegeversicherung zu entlasten, gleichzeitig müsse man sich „der Realität stellen, dass Pflege immer teurer wird“. Deshalb seien Beitragserhöhungen „unausweichlich“, so Klein-Schmeink. „Diese müssen jedoch sozial gerecht gestaltet werden, sodass sie niemanden übermäßig belasten.“

Die Fronten sind verhärtet. Von der Opposition kommt derweil harsche Kritik. „Jeder Tag, den Lauterbach weniger im Amt ist, ist gut für den Geldbeutel und die Gesundheit der Leute“, sagte der Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels, Dennis Radtke, dem stern. „Kleine und mittlere Einkommen sind wieder die großen Verlierer, wenn die Sozialversicherungsbeiträge signifikant steigen.“ Laut dem Medienbericht geht die Bundesregierung inzwischen davon aus, dass die Beiträge Anfang 2025 mehr als bislang angenommen steigen müssten: um 0,25 bis 0,3 Prozentpunkte. 

Lauterbach Interview

Radtke fordert deshalb, dass diejenigen mit hohen Einkommen auch mehr Beiträge zahlen sollen und bemängelt eine FDP-Blockade bei dem Thema: „Während die Pflegeversicherung am Rande der Pleite ist, blockiert Bundesfinanzminister Christian Lindner die Anpassung der Beitragsbemessungsgrenze.“ Dies sei ein „erster wichtiger Schritt, um auch Besserverdienende in die solidarische Finanzierung mit einzubeziehen“.

Ob das eine Stellschraube ist, die auch Lauterbach vorschwebt? Noch lässt der Gesundheitsminister das offen. Seine Pläne wolle er in „einigen Wochen“ vorlegen. Die Zeit aber wird langsam knapp. Daran, dass die Beiträge auch zum Jahresbeginn 2025 erneut steigen werden, führt wohl kein Weg vorbei.