Soziologin Eva Illouz analysiert in ihrem neuen Sachbuch „Explosive Moderne“ unsere moderne Gefühlswelt. Das ist interessant, aber leider unnötig anstrengend zu lesen.
Hoffnung ist anrüchig geworden. Apokalyptische Klimaprognosen, Kriege, Messerattentate, Inflation und Rentenchaos, explodierende Mieten – wer wollte da noch auf eine goldene Zukunft hoffen? Menschen, die Hoffnung versprühen, wirken heute naiv oder uninformiert.
Greta Thunberg hat ausgedient als Symbol der jugendlichen Hoffnung, Ruth Bader Ginsburg ist gestorben, Barack Obama ergraut. Und doch gibt es einen immensen Hunger auf Hoffnung. Der Harris-Hype beweist das, auch die Nagelsmann-Euphorie aus dem Sommer, als der Bundestrainer nach Deutschlands EM-Aus eine Rede hielt, die viele entflammte.
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Offenbar lechzen die Menschen nach solchen Lichtfiguren und ihren Worten, weil sie Aufbruch und Optimismus ausstrahlen. Nur gibt es leider allzu wenige von ihnen. Sind wir heute zu ängstlich, um Hoffnung zu wagen? Zu desillusioniert? Zu müde?
Eva Illouz seziert die Hoffnung
Hoffnung ist ein zentrales Gefühl, über das Eva Illouz in ihrem neuen Buch „Explosive Moderne“ schreibt. Auf fast 400 Seiten analysiert die israelische Soziologin die einflussreichsten Sentiments der Gegenwart, neben Hoffnung geht es vor allem um Enttäuschung, Zorn und Neid.
Illouz ist 63 Jahre alt, als Intellektuelle weltberühmt. Ihre Texte werden in internationalen Zeitungen abgedruckt, ihre Bücher in zig Sprachen übersetzt. Zu ihren bekanntesten Werken zählen „Warum Liebe weh tut“ und „Warum Liebe endet“. Auch darin analysierte sie schon, wie die Moderne unsere intimsten Emotionen prägt. Illouz attestierte uns eine „Kultur der Lieblosigkeit“, unsere Gefühle seien eine Reaktion auf die sozialen Bedingungen, schuld sei zuvorderst der Kapitalismus.
Illouz seziert dabei unser Innerstes mit psychologischer, soziologischer, historischer, philosophischer und kultureller Brille. Immer geht es ihr um die Frage: Welche Funktion hat ein Gefühl in der Gesellschaft?
„Die auf den ersten Blick naheliegende Annahme, dass sich Emotionen in stärkerem Maße innerhalb des Selbst abspielen als beispielsweise das Sprechen, ist falsch“, schreibt sie zu Beginn ihres neuen Buches. Gefühle seien vielmehr eine Art leiser Dialog, der immerzu geführt werde, „an der Schwelle zwischen äußerem und innerem Selbst“.
Hoffnung als politisches Benzin
Gefühle sind für Illouz wie Kabel, die empfangen und aussenden – eine Verbindung zwischen Innen- und Außenwelt, beide voneinander abhängig. Dieser Gedanke mag erst mal banal klingen, aber blickt man so auf das Gefühl der Hoffnung, dann wird es vielschichtiger. Hoffnung ist für Illouz nicht einfach ein optimistischer Blick in die Zukunft, sondern „eher ein Gefühl, das dem Handeln Energie verleiht, also eine ausgesprochen handlungsorientierte Emotion“.
So wird klar, warum dieses Gefühl Politik und Gesellschaft verbinden, ja sogar befeuern kann: Hoffnung ist politisches Benzin. Wenn es fehlt, lahmt ein Land. Hoffnung sei „ein zentrales Merkmal der Demokratie, denn Vorstellungen von der Zukunft nähren unsere Bereitschaft, uns zu engagieren“. Genau daran mangelt es uns heute aber: an einer gemeinsamen Vorstellung von der Zukunft, die nicht dystopisch klingt.
Interview France Cerutti PAID 11:57
Illouz erinnert hier an Bill Clintons Rede aus dem Jahr 1999, als er ausmalte, das „Versprechen unserer Zukunft ist grenzenlos“. Heute scheint das Gegenteil der Fall: Wir leben im ständigen Bewusstsein der Begrenztheit dieser Welt. Man denke an knapper werdende natürliche Ressourcen oder deutsche Außengrenzen, die sichtbar werden, da Kontrollen stattfinden. Weil Demokratien und kapitalistische Systeme aber Hoffnungsmaschinen seien, führe das unweigerlich zu einem lähmenden Gefühl, so Illouz: dem der Enttäuschung.
In der Moderne sei klar, dass sich viele Menschen chronisch enttäuscht fühlten, argumentiert sie. Das liege am modernen Bewusstsein: „Vorstellungskraft, Anspruchsdenken und ein von den Institutionen der Moderne erzeugter Hunger nach dem Möglichen, der aber in der Wirklichkeit schlicht unstillbar ist.“ Wiederholte Enttäuschungen, ob im Arbeits- oder Liebesleben oder an der Wahlurne, könnten zu einem „Zustand des Dahindümpelns“ führen. Damit meint Illouz „ein Zwischenstadium zwischen Depression und Aufblühen“, bei dem Menschen mangelnden Sinn im Leben verspürten und teilnahmslos würden. Wer nicht (mehr) daran glaubt, dass er etwas bewirken kann, zieht sich zurück und resigniert.
Oder brennt vor Zorn.
„Explosive Moderne“ ist eine tiefe Analyse unserer gegenwärtigen Gefühlswelt geworden. Aber wer viele neue oder gar überraschende Thesen erwartet, wird trotzdem kaum fündig. Das liegt auch daran, dass Illouz Gedanken aus ihren vorherigen Büchern wiederholt. Zwei Beispiele: In der Moderne besäßen unsere Gefühle zunehmend auch Warenwert. Die Hoffnung eines Singles sei profitabel für Unternehmer von Dating-Apps, weil sie Geld damit machten, dass die User immer weiter hofften, dort jemandem zu begegnen. Ihren Blick auf unsere Gefühle und deren Marktlogik kennt man bereits.
„Explosive Moderne“ liest sich wie ein Uni-Text
Leider liest sich „Explosive Moderne“ meist wie ein Text an der Universität: viele Substantivierungen, sieben Zeilen lange Sätze, Menschen werden gern als „Subjekte“ bezeichnet. Illouz’ Sprache ist immer wieder unnötig abstrakt und kompliziert. Wissenschaftlerin halt, könnte man dagegenhalten, natürlich schreibt sie so. Aber das Buch richtet sich ja nicht nur an andere Wissenschaftler, sondern an ein breiteres Publikum. Für diese „Subjekte“ dürfte sie gerne häufiger übersetzen.
Lohnend sind all die Passagen, in denen Illouz ihre Gedanken veranschaulicht, wenn sie etwa die Literatur heranzieht, da wird es lebhaft und zugänglich.
„In einer Kultur, die wie die unsrige besessen ist vom Glück, wird eine eher schlichte und womöglich auch eher beunruhigende Frage nur selten gestellt: Was ist ein verfehltes Leben?“, heißt es am Ende. Illouz beantwortet die Frage anhand des Romans „Was vom Tage übrig blieb“, sie schlussfolgert: „Ein verfehltes Leben ist eines, in dem wir es versäumen, unsere eigenen entscheidenden Gefühle zu erfassen.“
Unsere Gefühle seien wie ein Kompass, der anzeige, was uns am Herzen liege. Ohne diesen Wegweiser ließen wir andere von unserer Innerlichkeit Besitz ergreifen, schreibt Illouz, und so würden wir „nie entdecken, was unser eigenes Verhältnis zur Welt ausmacht“. In diesem Sinne: Es dürfte sich lohnen, mehr Hoffnung zu wagen. Für unser Verhältnis zur Welt – und zu uns selbst.